Physiologie
Der Deszensus beider Hoden vollzieht sich in utero zwischen der 7. und 38. Gestationswoche. Hierbei wandern die Gonaden zwischen der 7. und 12. Woche von der Gegend der Nierenanlagen durch den Bauchraum nach caudal, was als „transabdominelle Phase“ des Deszensus bezeichnet wird.
Zwischen dem 3. und 7. Monat verweilen die Testes in der Gegend des Inguinalkanals.
Um die 25. bis 28. Woche herum migrieren die Hoden weiter durch die kurz vorher entstandenen Leistenkanäle, um zwischen der 35. und 40. Woche ihre definitive
Position im Hodensack zu erreichen. Dies wird als „
inguino-scrotal Phase“ des Deszensus testis bezeichnet (Hutson et al.
2013).
Die gerichteten Vorgänge vollziehen sich unter der Führung des
Ligamentum genito-inguinale (= Gubernaculum). Darüber hinaus sind
Hormone an der Steuerung des Deszensus testis beteiligt: Das bindegewebige Keimdrüsenband entsteht im Laufe der 7. Woche aus dem unteren Gonadenband und verbindet beim frühen Fetus sowohl beide Hoden, als auch die Urogenitalleiste mit der jeweiligen Inguinalregion. Ab der 7. Woche schwillt das Gubernaculum unter dem Einfluss des Leydigzell-Produkts
Insulin-like hormone 3 (INSL3) an. Das Sertolizell-Produkt
Anti-Müller-Hormon (AMH)
und das Androgen
5-alpha-Dihydrotestosteron (DHT) verstärken das Wachstum des Gubernaculums. Die Bildung dieser testikulären Hormone wird bis zum Ende des dritten Monats (10–12. Woche) durch das
humane Choriongonadotropin (hCG) aus der Placenta stimuliert. Bis zur 12. Woche verkürzt sich das Gubernaculum und zieht hierdurch den Hoden, die Ductus deferentes und ihre Gefäße nach unten, nahe an den späteren Annulus inguinalis internus, was die „
transabdominelle Phase“ des Deszensus testis abschließt.
Testosteron und DHT induzieren im Anschluss die
Regression des cranial gelegenen Ligamentum suspensorium testis. Zeitgleich entsteht entlang des unteren Gonadenbandes eine Ausstülpung des Peritoneums, der
Prozessus vaginalis.
Ab der 9.–14. Woche induziert das fetale hypothalamische
Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) die fetale hypophysäre
LH-Sekretion, wodurch die Hoden zur
Testosteron-Bildung angeregt werden. Ab dem 7. Monat differenziert sich der Nervus genito-femoralis, das Gubernaculum elongiert weiter und migriert nach caudal. Unter dem Einfluss beider
Androgene,
Testosteron und DHT, und vermittelt über das
Calcitonin gene-related Peptide (CGRP) wird die Kontraktion des Gubernaculums ausgelöst, welche den Hoden, durch den Inguinalkanal, am Processus vaginals vorbei, in Richtung Skrotum verlagert (Hughes und Acerini
2008; Hutson et al.
2009).
Während des ersten Lebensjahres obliteriert der obere Teil des Prozessus vaginalis, im unteren Bereich bleibt als Relikt der Aussackung der Peritonealhöhle ventral der Testes die seröse Doppelblattstruktur der Tunica vaginalis bestehen.
Pathophysiologie
Die Ursachen einer Störung des Deszensus testis mit der Folge einer Lageanomalie der Hoden sind komplex und bis heute zum großen Teil ungeklärt.
Es wird vermutet, dass ein
fetaler Androgenmangel für die inkomplette testikuläre
Migration mitverantwortlich ist. Diese Hypothese ergibt sich aus der Beobachtung, dass ein testikulärer Maldeszensus gehäuft bei männlichen Neugeborenen mit einem
kongenitalen hypogonadotropen Hypogonadismus (CHH) vorkommt (Pitteloud et al.
2002; Rohayem et al.
2016). Bei diesen Jungen besteht eine Störung der fetalen GnRH-Sekretion bzw. -Wirkung und infolgedessen ein intrauteriner Testosteronmangel. Darüber hinaus sind inguinale oder abdominelle Hodenlagen bei
chromosomal männlichen Individuen mit einem Androgen-Rezeptor-Defekt zu finden, d. h. bei 46, XY-Individuen mit
partieller (PAIS) oder kompletter Androgeninsensitivität (CAIS) (Hutson
1986). Auch chromosomal männliche Individuen mit einem 5-alpha-Reduktase-Defekt und mit einem hieraus resultierenden
Mangel an DHT (Imperato-McGinley et al.
1974), sowie Individuen mit
Störungen der Testosteron-Biosynthese und Untervirilisierung bei Geburt sind regelhaft von einem
Hodenhochstand betroffen. Schließlich kommen Deszensusstörungen auch häufiger bei primären Anlagestörungen der Hoden infolge von Chromosomen-Anomalien (
Klinefelter-Syndrom,
XX testicular DSD; 46,XY/46,XX DSD) vor (Hiort et al.
2005). Aus diesen Beobachtungen resultiert, dass heute auch ein isolierter Maldeszensus testis als eine Störung der somato-sexuellen Entwicklung (DSD) betrachtet wird.
Eine weitere Hypothese zur Entstehung eines Maldeszensus beinhaltet, dass toxische (Nikotin,
Ethanol,
Pestizide), mechanische und neurologische Faktoren eine Rolle spielen könnten (Damgaard et al.
2008).
Was die Folgen eines Maldeszensus in Bezug auf die reproduktive Funktion Betroffener angeht, existieren zwei Hypothesen:
Zum einen ist bekannt, dass eine
abnorm hohe Umgebungs-Temperatur der Hoden bei inguinaler Lage (35–37 °C), im Vergleich zur Temperatur bei Lage im Skrotum (33 °C), eine vermehrte
Apoptose der Keimzellen begünstigt. Dies schränkt die Fertilität Betroffener ein und steigert das Entartungsrisiko der Keimzellen in den Gonaden (Zorgniotti
1982). Kürzlich wurde am Rattenmodell gezeigt, dass auch die
Gen-Expression testikulärer Keimzellen temperatur-sensibel ist (Yadav et al.
2018).
Zum anderen wird vermutet, dass bei Jungen mit Lageanomalien der Hoden durch eine
inadäquate Gonadotropin-Stimulation der Hoden zwischen dem 3. und 9. Lebensmonat (während der sog. „Mini-Pubertät“) die
Umwandlung der Gonozyten in A-dark (Ad)-Spermatogonien beeinträchtigt wird (Hadziselimovic et al.
1986; Huff et al.
2001). Die Evidenz hierfür ist uneindeutig: Während einige Untersucher bei männlichen Säuglingen mit Lageanomalien der Hoden einen reduzierten Testosteron- (und LH-) Anstieg während der ersten 6 Lebensmonate beobachteten (Job et al.
1987,
1988; Pierik et al.
2009), maßen andere Untersucher normale LH-, FSH- und Testosteron- Spiegel (Barthold et al.
2004; Suomi et al.
2006; Cortes et al.
2016). Hadziselimovic postulierte, das eine Behandlung mit einem LHRH-Analogon nach einer Orchidopexie die Chancen für Fertilität im späteren Leben verbessert (Hadziselimovic und Herzog
1997). Von einigen Untersuchern wurden in der Histologie maldeszendierter Hoden eine
erniedrigte Leydigzellzahl- bzw. eine Leydigzellhypoplasie beschrieben (Gotoh et al.
1984).