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Allgemeinmedizinische und neurologische Befunddiagnostik in der Psychiatrie

Verfasst von: Bernhard Widder
Der gründlichen allgemeinmedizinischen und neurologischen Untersuchung kommt auch in der Psychiatrie wesentliche Bedeutung zu. Die Untersuchung sollte dabei stets am bis auf die Unterwäsche entkleideten Patienten erfolgen, um relevante körperliche Auffälligkeiten wie Schnittverletzungen oder krankhafte Hautauffälligkeiten nicht zu übersehen. Aufgrund der engen Überschneidungen zwischen dem neurologischen und psychiatrischen Fachgebiet steht dabei die neurologische Befunderhebung im Vordergrund. Das vorliegende Kapitel enthält die für den Psychiater wichtigsten Techniken. Die allgemeinmedizinische Untersuchung wird nur kurz gestreift. Zu Details sei auf entsprechende Lehrbücher und Manuale verwiesen.

Allgemeinmedizinische Untersuchung

Zumindest im stationären, im Einzelfall jedoch auch im ambulanten Rahmen gehört zur psychiatrischen Untersuchung auch eine allgemeinmedizinische Befunderhebung. Das hierfür erforderliche „Minimalprogramm“ findet sich in Tab. 1, weitere Untersuchungen erfolgen einzelfall- und symptombezogen (z. B. digitale Untersuchung des Afters und der Prostata, Beurteilung des Stütz- und Bewegungsapparates, Inspektion der Ohren).
Tab. 1
„Minimalprogamm“ der körperlichen Untersuchung bei psychiatrischen Patienten
Untersuchung
Wesentliche Punkte der Befunderhebung
Inspektiona
• Allgemein- und Ernährungszustand einschließlich Körperpflege
• Zustand der Zähne und des Zahnfleisches
• Farbe, Durchblutung, Turgor und Trophik der Haut (insbesondere Hände und Füße)
• Verletzungen und Narben am Stamm und den Extremitäten
Lymphknotenb
• Zervikale und axilläre Lymphknoten
Brust- und Bauchorgane
• Auskultation von Herz, Lunge und Abdomen
• Tastbefund im Bereich des Abdomens und der Nierenlager (Abwehrspannung, umschriebener Druckschmerz)
Gefäßstatusc
• Auskultation der Halsgefäße
• Seitenvergleichende Tastung der Radialis- und Fußpulse
• Bestimmung des Blutdrucks – bei seitenunterschiedlichem Pulstastbefund beidseitig – und der Herzrate
aam bis auf die Unterwäsche entkleideten Patienten
bwesentliche Bedeutung für systemische neoplastische und entzündliche Erkrankungen (z. B. HIV)
ceinschließlich Anamnese vaskulärer Risikofaktoren (Nikotin, Alkohol, Diabetes mellitus, Übergewicht)

Neurologische Untersuchung wacher Patienten

Außerhalb von Notfallsituationen, bei denen sich die neurologische Untersuchung auf die Erhebung von für die unmittelbare Versorgung wesentlichen Befunden beschränken muss (Abschn. 3), empfiehlt sich ein möglichst gleichbleibender Ablauf, da der Untersucher auf diese Weise pathologische Befunde am wenigsten übersieht. Dabei kann der Untersuchungsablauf häufig dadurch zeitgerecht gestaltet werden, dass Ausfälle beim kooperativen Patienten bereits durch entsprechendes Befragen ausgeschlossen werden bzw. Funktionsprüfungen zusammen erfolgen können (z. B. Zeigeversuche zusammen mit dem Romberg-Versuch).

Hirnnerven

Die 12 Hirnnerven geben über die Funktion des Hirnstamms sowie über die peripheren Leitungsbahnen im Bereich des Kopfes Auskunft. Ausfälle der Hirnerven III–IV deuten auf eine Schädigung im Mittelhirn, der Hirnnerven VI–VIII auf eine pontine Läsion hin. Läsionen der Hirnnerven IX–XII sind der Medulla oblongata zuzurechnen. Lediglich der N. trigeminus (N. V) ist aufgrund seines lang gestreckten Verlaufs sowohl bei Schädigungen des Pons als auch der Medulla oblongata betroffen. Der Vorschlag eines diagnostischen „Minimalprogamms“ zur Untersuchung der Hirnnerven findet sich in Tab. 2.
Tab. 2
„Minimalprogramm“ einer Routineuntersuchung der Hirnnerven zum Ausschluss einer Hirnnervenläsion
Hirnnerv
Funktion
Technik
„Minimalprogramm“
I
Riechvermögen
Anamnese
Veränderte Geruchswahrnehmung
II
Sehvermögen
Anamnese
Probleme beim Lesen (trotz Sehhilfe)?
Gesichtsfeld
Untersuchung
4 Quadranten des Gesichtsfelds
II, III
Pupillomotorik
Untersuchung
Direkte und indirekte Lichtreaktion
III, IV, VI
Okulomotorik
Untersuchung
Augenfolgebewegungen nach allen Richtungen
V
Gesichtssensibilität
Anamnese
Taubes Gefühl im Gesicht und/oder Mund?
VII
Gesichtsmotorik
Untersuchung
Mimische Muskulatur
VIII
Hörvermögen
Anamnese
Schlechteres Hörvermögen, Ohrgeräusch?
Gleichgewicht
Untersuchung
Stand- und Gangsicherheit
IX, X
Schlundmuskulatur
Untersuchung
Hebung des Gaumensegels
XI
Halsmuskulatur
Untersuchung
Kopfdrehung und Schulterhebung, Muskelrelief Hals-/Schultermuskulatur
XII
Zungenmuskulatur
Untersuchung
Herausstrecken der Zunge

Riechvermögen (N. olfactorius)

Die ausführliche Prüfung des Geruchssinnes erfolgt durch seitengetrennte Darbietung aromatischer Substanzen (z. B. Kaffee, parfümierte Desinfektionsmittel). Beim wachen, kooperativen Patienten genügt i. Allg. die Frage nach Veränderungen in der Wahrnehmung von Umgebungsgerüchen oder von Speisen und Getränken.
Wird eine Hypo- oder Anosmie angegeben, sind „Gegenprüfungen“ sinnvoll:
  • Schleimhautreizende Substanzen (z. B. Ammoniak, Essigsäure): Sie führen auch bei vollständiger Anosmie zu einem Brennen in der Nase (Versorgung der Nasenschleimhaut über den N. trigeminus).
  • Prüfung des Geschmacksinns: Der Geschmackssinn mit seinen 4 Qualitäten süß, sauer, salzig und bitter wird geprüft. Das Geschmacksempfinden ist nicht dem N. olfactorius zuzuordnen, sondern dessen Bahn verläuft für die Qualitäten süß/sauer/salzig zunächst über den N. trigeminus (R. mandibularis), dann nach „Passage“ über die Chorda tympani weiter über den N. facialis. Bittere Geschmacksstoffe werden im hinteren Drittel der Zunge wahrgenommen, die Weiterleitung erfolgt über den N. glossopharyngeus. Zentrale Ausfälle des Geschmackssinnes gehören zu den Raritäten.
Die Angabe einer kompletten sowohl Geruchs- als auch Geschmacksstörung (ggf. einschließlich fehlender Wahrnehmung von Trigeminusreizstoffen) ohne schwerwiegendere Gesichtsschädelverletzungen und ohne Mitbetroffensein weiterer Hirnnerven deutet angesichts der komplexen Nervenversorgung auf eine psychogene Ursache hin.

Sehvermögen (N. opticus)

Die seitengetrennte Testung des Sehvermögens kann mit entsprechenden Visustafeln, im einfachsten Fall durch Verwendung einer Zeitung mit verschiedenen Schriftgrößen erfolgen. Sehprobleme werden von Patienten jedoch auf Befragung meist auch spontan berichtet. Der ophthalmoskopischen Beurteilung des Augenhintergrunds kommt angesichts der heute breit verfügbaren Bildgebung (CT, MRT) für den Psychiater keine relevante Bedeutung mehr zu.

Gesichtsfeld (N. opticus)

Häufig spontan nicht bemerkt werden demgegenüber Gesichtsfeldausfälle. Für eine orientierende Prüfung genügt es, den Patienten zu bitten, auf die Nase des vor ihm stehenden Untersuchers zu sehen, und dann in der Mitte zwischen Patient und Untersucher die Erkennbarkeit von Fingerbewegungen in den 4 Quadranten zu erfragen. Detailliertere Prüfungen sind Aufgabe der augenärztlichen Untersuchung.

Pupillomotorik (N. opticus, N. oculomotorius)

Weite und Form der Pupillen sind wichtige Beobachtungsparameter (z. B. Miosis beim Horner-Syndrom), zusätzlich gilt es die direkte und konsensuelle Reaktion auf kurzzeitige Beleuchtung der Pupille, z. B. mit einer Taschenlampe zu beurteilen. Dabei genügt es in hellen Räumen meist, die Augen kurzzeitig mit der Hand zu verdecken bei anschließender Beobachtung der Pupillenreaktion nach Wegziehen der Hand. Bei primär bereits eng gestellten Pupillen ist die Lichtreaktion oft schwer zu beurteilen. Hier kann entweder der Raum abgedunkelt oder der Patient gebeten werden, nach oben in die zu einem „Sonnendach“ geformte Hand des Untersuchers zu blicken. Die Konvergenzreaktion wird nur bei fehlender Lichtreaktion geprüft. Primär weite Pupillen deuten auf einen hohen Sympathikotonus bzw. auf Medikamenteneffekte hin, sehr enge Pupillen finden sich bei Opiatkonsum oder beim Glaukom. Bei Vorliegen einer Anisokorie sollte durch Vergleich mit Fotografien (z. B. Passbild) beurteilt werden, ob diese schon länger besteht oder jetzt erst neu aufgetreten ist.

Okulomotorik (N. oculomotorius, N. trochlearis, N. abducens)

Zwar wird das Bestehen von Doppelbildern meist bereits spontan von den betroffenen Patienten berichtet, trotzdem gehört die Beurteilung der Augenfolgebewegungen auch ohne derartige Klagen zum Standard jeder neurologischen Untersuchung, da hiermit wichtige Informationen zu erhalten sind. Hierzu gehören:
  • Ein disharmonischer Ablauf der Augenbewegungen („sakkadierte Blickfolge“) ergibt Hinweise auf das Vorliegen einer zerebellären Störung.
  • Das Vorliegen eines – vor allem asymmetrischen – Blickrichtungsnystagmus deutet auf eine Störung des Gleichgewichtssystems hin (s. unten). Er darf nicht mit dem physiologischen, symmetrischen Endstellnystagmus bei Extremstellungen der Augenbulbi verwechselt werden.
  • Ein „Nachhinken“ der Adduktion eines Auges bei schnellen Augenfolgebewegungen zeigt eine internukleäre Ophthalmoplegie (INOP) durch eine Schädigung der zwischen den verschiedenen Kernen verlaufenden Bahn (mediales Längsbündel) an.
  • Eine verminderte vertikale Augenbeweglichkeit kann auf eine supranukleäre Blickparese (Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom) hindeuten.

Gesichtssensibilität (N. trigeminus)

Das Vorliegen von Gefühlsstörungen im Gesicht wird vom wachen und kooperativen Patienten auf Nachfrage stets (ausführlich) beschrieben, sodass sich eine detailliertere Untersuchung im nichtpathologischen Fall erübrigt. Als objektiver Parameter bei geklagten Sensibilitätsstörungen dienen die seitenvergleichende Prüfung des Kornealreflexes sowie der „Festigkeit“ der Kaumuskulatur beim Zusammenbeißen der Zähne, die vom N. trigeminus motorisch versorgt wird. Außerdem ist die unterschiedliche topografische Zuordnung bei zentralen und peripheren Trigeminusläsionen zu berücksichtigen (Abb. 1).

Gesichtsmotorik (N. facialis)

Bei der Prüfung der vom N. facialis versorgten mimischen Muskulatur sind gleichermaßen – wenn auch anatomisch nicht ganz korrekt – zentrale und periphere Läsionen zu unterscheiden, bedingt durch die Tatsache, dass die zentralen Fasern zur Innervation der Stirnmuskulatur sowohl zum ipsi- als auch kontralateralen Fazialiskern ziehen. Ein Mitbetroffensein der Stirnmuskulatur sowie eine vorhandene Geschmacksstörung der ipsilateralen vorderen Zungenhälfte (sauer/süß/salzig) deuten demnach auf eine Läsion peripherer Nervenfasern im langen Verlauf des N. facialis hin, während es sich im anderen Fall um eine zentral bedingte faziale Parese (nicht Fazialisparese) handelt.
Von Fazialis- bzw. fazialen Paresen abzugrenzen sind nichtpathologische Gesichtsasymmetrien vor allem im Mundbereich, die typischerweise bei Prüfung der einzelnen mimischen Muskeln verschwinden.

Hörvermögen (N. cochlearis)

Hörstörungen werden von kooperativen Patienten regelmäßig spontan berichtet bzw. fallen dem Untersucher im Gespräch aufgrund häufig erforderlichen Nachfragens des Patienten auf, sodass sich eine seitenvergleichende Prüfung (z. B. leichtes Fingerreiben) im Normalfall erübrigt. Detailliertere Untersuchungen (Weber-, Rinne-Versuch) sind Aufgabe des HNO-Arztes.

Gleichgewicht (N. vestibularis)

Zum Nachweis von Störungen des Vestibularapparates (und anderer Formen von Gleichgewichtsstörungen) dienen verschiedene Stand- und Gangprüfungen. Die wichtigsten sind:
  • Romberg-Versuch: Hierbei wird das sichere Stehen mit geschlossenen Augen bei eng zusammenstehenden Füßen geprüft. Verschwindet eine auftretende Schwankneigung bei Ablenkung (z. B. gleichzeitiger Finger-Nase-Versuch), ist dies als Zeichen einer psychogenen Gleichgewichtsstörung zu werten.
  • Unterberger-Versuch: Eine Drehung um mehr als 45° nach Treten auf der Stelle mit geschlossenen Augen deutet auf eine homolaterale Vestibularisstörung hin.
  • Seiltänzergang: Balancieren auf einem imaginären Seil (mit offenen und geschlossenen Augen) stellt bereits hohe Anforderungen an das Gleichgewicht.
  • Einbeinstand: Die sensibelste, vor allem für den Seitenvergleich taugliche Prüfung ist das Stehen auf einem Bein mit – nach Ausbalancieren – geschlossenen Augen. Auch Gesunde schaffen dies kaum länger als 5–10 s.

Schlundmuskulatur (N. glossopharyngeus, N. vagus)

Routinemäßig beurteilt wird die symmetrische Hebung des Gaumensegels bei Phonation (Cave: Asymmetrien nach Tonsillenoperation). Die seitenvergleichende Prüfung des Würgreflexes kann, da von Patienten häufig als sehr unangenehm empfunden, auf die Fälle beschränkt werden, bei denen sich aufgrund einer heiseren oder näselnden Sprache (N. recurrens des N. vagus) bzw. berichteter Schluckstörungen klinische Anhaltspunkte für eine mögliche Störung der Schlundmotorik ergeben.

Halsmuskulatur (N. accessorius)

Auch hier erscheint eine detailliertere Prüfung der Kopfwendung (M. sternocleidomastoideus) und der Schulterhebung (M. trapezius) nur erforderlich, wenn sich bei der Beobachtung der Spontanmotorik entsprechende Hinweise ergeben bzw. (asymmetrische) Atrophien der Schultergürtelmuskulatur erkennbar sind.

Zungenmuskulatur (N. hypoglossus)

Isoliertes Abweichen der Zunge oder fehlendes Herausstrecken auf Aufforderung hat nicht selten eine psychogene Ursache. Bei Bestehen über mehr als einige Tage hinaus sind Störungen der Zungenmotorik daher nur dann als organpathologisch zu werten, wenn sich gleichzeitig eine (einseitige) runzlige Atrophie der Zunge abgrenzen lässt.

Reflexe

Eine ausführliche Prüfung der Reflexe gehört zum „Standardprogramm“ jeder neurologischen Untersuchung, da diese – im Vergleich zu vielen anderen Prüfungen – weitgehend von der Kooperation des Patienten unabhängig sind und daher als objektive Parameter Bedeutung besitzen. Unterschieden werden Eigen- und Fremdreflexe.

Muskeleigenreflexe

Routinemäßig zu prüfen sind (Tab. 5):
  • Bizepssehnenreflex (BSR): Schlag auf die zuvor getastete (!) Sehne des Musculus biceps brachii bei im Ellbogen abgewinkelten, supinierten Unterarm.
  • Trizepssehnenreflex (TSR): Schlag auf die Sehne des Musculus triceps brachii etwa eine Handbreit oberhalb des Ellbogens bei abgewinkeltem Unterarm. Eine Muskelentspannung kann häufig dadurch erreicht werden, dass der Unterarm an den Fingern hochgezogen wird, bis der Oberarm beim sitzenden Patienten in eine horizontale Position kommt.
  • Patellarsehnenreflex (PSR): Schlag auf die Patellarsehne unterhalb – oder bei lebhaften Reflexen auch oberhalb – der Patella. Im Seitenvergleich kann dann abgeschätzt werden, wie weit distal von der Patella der Reflex noch auslösbar ist.
  • Achillessehnenreflex (ASR): Schlag auf die Achillessehne bei leichter Dorsalextension des Fußes zur Vorspannung der Wadenmuskulatur.
Bei nicht auszulösenden Eigenreflexen sollte stets eine Fazilitation durch Bahnung (Jendrassik-Handgriff) versucht werden (Armeigenreflexe: Zähne zusammenbeißen; Beineigenreflexe: Auseinanderziehen der Hände).
Anatomisch korrekt müsste eigentlich vom Quadriceps- und Triceps-surae-Sehnenreflex gesprochen werden, da weder die Patella noch die Achillessehne zu einer Reflexantwort führen. Die Begriffe Patellar- und Achillessehnenreflex haben sich aber im üblichen medizinischen Sprachgebrauch eingebürgert.
Im Einzelfall sind weitere wichtige Muskeleigenreflexe:
  • Deltoideusreflex: Schlag auf den unteren Rand des Musculus deltoideus.
  • Radiusperiostreflex (RPR): Schlag auf das distale Drittel des Radius in Mittelstellung zwischen Pronation und Supination. Der RPR kann sehr gut im Seitenvergleich geprüft werden und gibt ggf. Hinweise auf das Vorliegen einer Radialisparese.
  • Trömner-Reflex: Beobachtung der Daumenbeugung nach schnellender Bewegung von volar gegen die Fingerkuppen II–V. Dieser Reflex ist nur inkonstant bei hohem Reflexniveau auslösbar, eignet sich dann jedoch hervorragend für den Seitenvergleich.
  • Adduktorenreflex: Adduktion der Beine bei Schlag auf die Innenseite des Kniegelenks. Ein „Übersprechen“ auf die kontralaterale Seite deutet auf ein Betroffensein „langer motorischer Bahnen“ (Pyramidenbahnschädigung) hin.
  • Tibialis-posterior-Reflex: Hebung des medialen Fußrandes (Supinationsbewegung) bei Schlag auf die Sehne des Musculus tibialis posterior ober- oder unterhalb des Innenknöchels. Wie der Trömner-Reflex ist dieser Muskeleigenreflex ebenfalls nur inkonstant auslösbar, eignet sich aber bei Auslösbarkeit für den Seitenvergleich.
  • Fußklonus: Hierbei handelt es sich um eine rhythmische Folge von Eigenreflexen der Wadenmuskulatur, ausgelöst durch ruckartige Dorsalbewegung des Fußes. Bei lebhaftem Reflexniveau ist die Zahl der Zuckungen bis zum Abklingen („erschöpflicher“ Fußklonus) hervorragend für den Seitenvergleich geeignet, ein „unerschöpflicher“ Fußklonus ist so gut wie immer Zeichen einer Pyramidenbahnschädigung.
Das wichtigste Beurteilungskriterium der Muskeleigenreflexe sind Seitenunterschiede, wobei asymmetrisch auslösbare Reflexe zunächst nichts darüber aussagen, ob diese auf einer Seite aufgrund einer peripheren Nervenläsion abgeschwächt oder auf der anderen Seite aufgrund einer Schädigung zentraler langer Bahnen (Pyramidenbahnläsion) pathologisch gesteigert sind. Einschätzungen sind daher nur im klinischen Gesamtkontext möglich. Zu beachten sind auch Unterschiede zwischen Arm- und Beineigenreflexen. Sind letztere wesentlich lebhafter auslösbar als die Reflexe an den Armen, kann dies auf eine Schädigung des thorakalen Rückenmarks hinwiesen.
Klinische Bedeutung der Muskeleigenreflexe:
  • Steigerung = zentrale Läsion (Gehirn oder Rückenmark),
  • Abschwächung = periphere Läsion (Nervenwurzel oder peripherer Nerv).

Fremdreflexe

Im Gegensatz zur monosynaptischen Auslösung der Muskeleigenreflexe ist der Reflexbogen hier polysynaptisch, d. h. ein taktiler Reiz führt – erschöpflich (!) – zu einer motorischen Antwort. Die wichtigsten Fremdreflexe sind:
  • Bauchhautreflexe: Symmetrisch in allen Etagen nicht auslösbaren Bauchhautrreflexen (Segmente Th5–Th12) kommt keine Bedeutung zu. Einseitig nicht auslösbare Bauchhautreflexe sind jedoch ein sehr sensibles Zeichen für das Vorliegen einer zentralen Schädigung. Eine geklagte Hemihypästhesie bei gut auslösbaren, symmetrischen Bauchhautreflexen deutet auf eine psychogene Störung hin.
  • Kremasterreflex: Beim Mann führt Bestreichen der Innenseite des Oberschenkels zur Hebung des gleichseitigen Hodens (M. cremaster).
  • Analreflex: Bei angegebenen Mastdarmstörungen und (artefiziell?) vermindertem Analsphinktertonus schließt ein auslösbarer Analreflex eine relevante Kaudasymptomatik aus, ist allerdings nur inkonstant auslösbar.
  • Babinski-Reflex: Definitionsgemäß immer pathologisch ist ein positiver Babinski-Reflex als Zeichen einer Pyramidenbahnschädigung. Bei fehlender Sensibilität der Fußsohle z. B. im Rahmen einer Polyneuropathie („stumme Sohle“) kann dieser jedoch auch fehlen.

Motorik

Bei der Prüfung der Motorik kommt der Beobachtung des Patienten herausragende Bedeutung zu. Die detaillierte Muskelprüfung dient oft lediglich der Quantifizierung der bereits festgestellten Befunde. Wesentliche Kriterien der Beobachtung sind:
  • Muskelatrophien (z. B. isolierte Atrophie eines Muskels bei peripherer Nervenläsion, Inaktivitätsatrophie einer gesamten Gliedmaße bei Schonhaltung, „Storchenbeine“ bei Polyneuropathie);
  • Spontanbewegungen der Muskulatur: Hierbei sind die in Tab. 3 genannten Formen zu unterscheiden;
  • Stand- und Gangbild (z. B. hinkender Gang mit steif gehaltenem Bein bei psychogener Parese, demgegenüber zirkumduzierender „Wernicke-Mann-Gang“ bei spastischer Parese);
  • Bewegungsmuster (z. B. vermindertes Mitschwingen eines Armes beim Hemi-Parkinson, eng an den Körper angepresster Arm bei psychogener Parese, Vernachlässigung einer Seite bei Neglekt).
Tab. 3
Wichtigste Formen von Spontanbewegungen der Muskeln
Begriff
Bewegungseffekt
Vorkommen
Fibrillieren
Zuckungen einzelner Muskelfasern, optisch nur an der Zunge sichtbar, ansonsten im EMG nachweisbar („Spontanaktivität“)
Wie Faszikulieren
Faszikulieren
Sichtbare Zuckungen von wechselnden Muskelfaserbündeln (Faszikeln) ohne Bewegungseffekt
Bei Schädigung des peripheren motorischen Neurons, jedoch auch „benignes“ Faszikulieren möglich
Myoklonien
Nichtrhythmische, blitzartige Kontraktionen von Muskeln mit Bewegungseffekt
Physiologisch als „Einschlafmyoklonien“, familiär, bei verschiedenen Hirnkrankheiten
Hyperkinese
Schnelle, unwillkürliche Bewegungen
Chorea, Medikamentenüberdosierung bei Parkinsonsyndrom, Neuroleptika
Athetose
Langsame, „wurmartige“ Bewegungen
Schädigung der Basalganglien

Zentrale motorische Störung

Zum Ausschluss bzw. zur Sicherung einer zentralen Parese gilt es vor allem, komplexe muskelübergreifende Bewegungen zu untersuchen, während die detaillierte Prüfung einzelner Muskeln (Tab. 5) wenig Sinn macht. Die Angabe des Kraftgrades (Tab. 4) sollte sich demnach auch lediglich auf muskelübergreifende Funktionen beschränken (z. B. 0/5 Handfunktion). Die Untersuchung umfasst hauptsächlich folgende Punkte:
Tab. 4
Beurteilung des Kraftgrades bei radikulären und peripheren Nervenläsionen
Kraftgrad
Ergebnis
0
Fehlende Muskelkontraktion
1
Eben sichtbare Muskelanspannung
2
Bewegung bei Ausschaltung der Schwerkraft
3
Bewegung gegen Schwerkraft
4
Aktive Anspannung gegen mäßigen Widerstand
5
Normale Kraftentfaltung
  • Muskeltonus: Das Vorhandensein einer v. a. bei ruckartigen passiven Bewegungen auftretendenden spastischen Tonuserhöhung weist auf eine Schädigung der Pyramidenbahn hin, während ein „wächserner“ Rigor Ausdruck einer extrapyramidalen Bewegungsstörung (z. B. Parkinsonsyndrom, Medikamenteneffekt) ist.
  • Vorhalteversuche: Eine Absinktendenz beim Armvorhalteversuch mit Pronation weist auf eine zentrale Parese hin. Fehlt die Pronation, ist an eine psychogene Parese zu denken.
  • Bewegungskoordination: (Abschn. 2.5).

Periphere motorische Störung

Radikuläre und periphere Nervenläsionen führen zu umschriebenen schlaffen Paresen einzelner Muskeln oder Muskelgruppen, der Kraftgrad der betroffenen Muskeln ist nach der international üblichen Skala (z. B. Armbeugung 3/5) zu bewerten (Tab. 4). Die Kennmuskeln bzw. Muskelfunktionen radikulärer und peripherer Nervenläsionen finden sich in Tab. 5. Durch gezielte Selektion geeigneter Funktionsprüfungen lässt sich auf diese Weise schnell eine Untersuchung aller wichtigen Nervenwurzeln und peripheren Nerven durchführen.
Tab. 5
Wichtigste Kennmuskeln und Reflexe zervikaler und lumbosakraler Nervenwurzeln und peripherer Nerven. (Abkürzungen s. Abschn. 2.2.1)
Zervikale Nervenwurzeln
Segment
Kennfunktion
Reflex
C5
Abduktion in der Schulter
Deltoideusreflex, BSR
C6
Armbeugung im Ellbogen
BSR, RPR
C7
Armstreckung im Ellbogen
TSR
C8
Kleinfingerabduktion
Trömner-Reflex
Periphere Armnerven
Nerv
Kennfunktion
Reflex
N. axillaris
Abduktion in der Schulter
Deltoideusreflex
N. musculocutaneus
Armbeugung (supiniert)
BSR
N. medianus
Daumenopposition
N. radialis
Daumenstreckung
RPR
N. ulnaris
Kleinfingerabduktion
Lumbosakrale Nervenwurzeln
Segment
Kennfunktion
Reflex
L2
Hüftbeugung
Kremasterreflex
L3
Hüftadduktion, (Kniestreckung)
PSR
L4
Fußhebung
PSR
L5
Großzehenhebung, Hüftabduktion
Tibialis-posterior-Reflex
S1
Fußsenkung
ASR
S2–5
Analsphinkter
Analreflex
Periphere Beinnerven
Nerv
Kennfunktion
Reflex
N. femoralis
Kniestreckung
PSR
N. peroneus
Fußhebung
N. tibialis
Fußsenkung
ASR
N. obturatorius
Hüftadduktion
Adduktorenreflex

Sensibilität

Unter klinischen Gesichtspunkten sind aufgrund der unterschiedlichen anatomischen Bahn 2 Arten der Sensibilität zu unterscheiden:
Oberflächen- und Tiefensensibilität
Oberflächen- und Tiefensensibilität mit ipsilateralem Verlauf über die Hinterstänge nach kranial bis zum Hirnstamm (erst dort erfolgt die Kreuzung zur Gegenseite). Für die Prüfung steht ein beachtliches Arsenal an Möglichkeiten mit unterschiedlichem Aufwand zur Verfügung (z. B. Berührungsempfindung mit einem Wattestäbchen, Lageempfindung in Gelenken, Erkennen von auf die Haut geschriebenen Zahlen, Vibrationsempfindung). Aufgrund der Möglichkeit zur Quantifizierung besitzt vor allem die Beurteilung der Vibrationsempfindung mit der skalierten Stimmgabel Bedeutung z. B. bei der Verlaufsbeobachtung diabetischer Polyneuropathien. Die Untersuchung unterliegt jedoch der Kooperation des Untersuchten, was zu berücksichtigen ist.
Temperatur- und Schmerzempfindung
Temperatur- und Schmerzempfindung mit Kreuzung zur Gegenseite bereits auf der entsprechenden Rückenmarkebene und Verlauf über die kontralateralen Tractus spinothalamici. Für eine orientierende Temperaturprüfung im Seitenvergleich bzw. zum Vergleich verschiedener Körperteile genügt die Verwendung eines hinreichend kalten Metallteils (z. B. Reflexhammer) oder eines kühlen Desinfektionssprays. Detaillierte Prüfungen erfordern z. B. Reagenzgläser mit unterschiedlich temperiertem Wasser. Die Schmerzempfindung kann unschwer mit einer Nadel geprüft werden, wobei sich die „Spitz-stumpf-Empfindung“ gleichermaßen wie das oben genannte Zahlenschreiben für eine „Forced Choice“-Untersuchung zur Erkennung psychogener Sensibilitätsstörungen eignet (s. Übersicht unter Abschn. 4).
Beim wachen, kooperativen Patienten kann die Untersuchung sehr reduziert durchgeführt werden, da umschriebene Sensibilitätsstörungen letztlich vom Betroffenen besser als bei jeder Untersuchung bemerkt werden. Lediglich sich langsam entwickelnde Störungen der Tiefensensiblität (z. B. bei Polyneuropathie) entgehen der Beobachtung und müssen zusätzlich erfragt werden (Unsicherheit beim Gehen im Dunkeln und/oder auf unebenem Boden). Gleiches gilt für – bei Syringomyelien häufig bereits seit Kindheit bestehenden – Störungen der Schmerz- und Temperaturempfindung, die dann meist jedoch mit Verbrennungsnarben und sonstigen Verletzungsfolgen einhergehen. Abb. 2 gibt einen Überblick über die sensible Innervation.

Bewegungskoordination

Koordination ist die Zusammenfassung von einzelnen Innervationen zu geordneten, fein dosierten oder zielgerichteten Bewegungen. Die Untersuchung umfasst im Wesentlichen folgende Elemente:
  • Beobachtung eines vorhandenen Tremors (Tab. 6);
  • Zeigeversuche mit Finger-Nase- und Knie-Hacken-Versuch. Konstantes Vorbeizeigen deutet auf eine psychogenes Geschehen hin;
  • Prüfung der Feinmotorik v. a. durch Beobachtung des Auf- und Zuknöpfens der Kleidung;
  • Prüfung der Diadochokinese, d. h. der Fähigkeit zu rasch aufeinander folgenden Bewegungen, durch z. B. „Klavierspielen“ oder „Einschrauben einer Glühbirne“.
Tab. 6
Wichtigste Tremorformen
Tremor
Symptomatik
Ursache
Ruhetremor
Vor allem in Ruhe bestehender Antagonistentremor („Pillendrehertremor“) mit Verstärkung bei Emotionen
Parkinsonsyndrom
Haltetremor
Zittern beim Halten von Gegenständen, jedoch auch Kopf(Halte)tremor, Besserung unter Alkohol
Essenzieller (familiärer) Tremor
Intentionstremor
Zitterbewegungen kurz vor Erreichen eines Ziels (z. B. Finger-Nase-Versuch)
Zerebelläre Schädigung
Gemischter Tremor
Nicht an bestimmte Aktionen gebundener Tremor
Alkoholentzugstremor
Flattertremor („flapping tremor“)
Langsamer (1–3/s), meist grobschlägiger Tremor („Flügelschlagen“)
Stand- und Gangprüfungen wurden bereits bei der Prüfung des Gleichgewichts beschrieben (Abschn. 2.1).

Sprache

Bei Vorliegen von Auffälligkeiten des Sprachverständnisses und/oder der Sprache gilt es, diese – soweit allein aufgrund der Exploration ohne entsprechende Sprachtests möglich – charakteristischen pathologischen Mustern zuzuordnen. Sprachstörungen (Aphasien) werden im deutschen Sprachraum üblicherweise in 4 Haupttypen (amnestische Aphasie, Broca-Aphasie, Wernicke-Aphasie, globale Aphasie) eingeteilt. Aufgrund der häufig bestehenden Überschneidungen erscheint es in der klinischen Praxis sinnvoller, lediglich die ICD-10-Unterteilung zu verwenden, die in (eher) expressive und rezeptive Sprachstörungen unterscheidet (Tab. 7). Zusätzlich gilt es, Sprachstörungen von Sprechstörungen (Dysarthrie, Dysarthrophonie, Artikulationsstörung) aufgrund einer Koordinationsstörung der Sprechmuskulatur abzugrenzen. Es versteht sich von selbst, dass Mischformen jeder Art bis hin zur oben genannten „globalen“ Aphasie auftreten können.
Tab. 7
Orientierende Einteilung von Sprach- und Sprechstörungen
Störung
Leitsymptome
Wortfindungsstörungen, Wortverwechslungen (Paraphasien), Beschränkung auf Einfachsätze (Agrammatismus), gestörter Sprachfluss
Rezeptive Sprachstörung
Gestörtes Sprachverständnis, Entwicklung einer „Privatsprache“ mit Wortneubildungen (Neologismen) bei ungestörtem Sprachfluss
Artikulationsstörung
Verwaschene, unartikulierte Sprache bei erhaltener Wortwahl

Untersuchung bewusstseinsgestörter Patienten

Bei der Untersuchung bewusstseinsgestörter Patienten mit entsprechend fehlender Kooperation sind die meisten der in Abschn. 2 genannten Untersuchungstechniken nicht einsetzbar. Zusätzlich handelt es sich regelmäßig um Notfallsituationen, bei denen weniger die Vollständigkeit der Untersuchung als das schnelle Ziehen diagnostischer und/oder therapeutischer Konsequenzen im Vordergrund steht. Die Notfalluntersuchung beinhaltet daher einige wenige, für die weitere Versorgung jedoch entscheidende diagnostische Maßnahmen (Tab. 8).
Tab. 8
Notfalluntersuchung bewusstseinsgestörter Patienten
Fremdanamnese
Notarzt, Notarztprotokoll, Angehörige, Einnahme von Medikamenten
Beobachtung
Verletzungszeichen, Hautturgor und -farbe, kardiopulmonale Parameter, Einstichstellen, Atemgeruch
Tiefe der Bewusstseinsstörung
Reaktion auf Ansprache und Schmerzreize
Neurologische Untersuchung
Nackensteifigkeit
Hirnstammfunktionen
Beurteilung motorischer Funktionen
Reflexstatus
Notfall-Labor
Elektrolyte, Blutzucker, Kreatinin, GPT, CK, kleines Blutbild, Gerinnung, ggf. Blutgase
Vom Rettungsdienst gebrachte Patienten bringen regelmäßig ein Notarztprotokoll mit, auf dem neben Angaben zur kardiopulmonalen Situation beim Erstkontakt auch eine Einschätzung nach der Glasgow Coma Scale vorliegt (Tab. 9), sodass sich hieraus erste diagnostische Schlüsse ziehen lassen. Wesentliche Bedeutung kommt auch Angaben zur Einnahme von Medikamenten aufgrund der Notarztbeobachtung bzw. der Rückfrage bei Angehörigen zu.
Tab. 9
Glasgow Coma Scale (GCS) zur Beurteilung bewusstseinsgestörter Patienten
Untersuchungsparameter
Reaktion
Punkte
Augenöffnen
Spontan
4
Nach Aufforderung
3
Auf Schmerzreize
2
Kein Augenöffnen
1
Verbale Reaktion
Orientiert
5
Verwirrt
4
Inadäquat
3
Unverständlich
2
Keine verbale Reaktion
1
Motorische Reaktion
Kommt Aufforderungen angemessen nach
6
Nur halbseitig
5
Normale Beugung z. B. auf Schmerzreize
4
Abnorme Beugungsbewegung
3
Strecken
2
Keine Reaktion
1
Die körperliche Notfalluntersuchung umfasst neben einer eingehenden Inspektion eine Einschätzung der Tiefe der Bewusstseinsstörung (Tab. 10) sowie eine auf wenige Parameter beschränkte neurologische Untersuchung.
Tab. 10
Neurologische Einschätzung der Tiefe von (quantitativen) Bewusstseinsstörungen
Begriff
Leitsymptome
Somnolenz
Schläfrigkeit, jedoch Weckbarkeit auf Anrufe und/oder leichte Schmerzreize
Sopor
Tiefschlafähnlicher Zustand, der durch erhebliche Außenreize kurz unterbrochen werden kann
Koma Grad I
Auf Schmerzreize konstant gezielte Abwehrbewegungen
Koma Grad II
Auf Schmerzreize konstant ungezielte Abwehrbewegungen
Koma Grad III
Auf Schmerzreize inkonstant Bewegungen, vor allem Beuge- und Strecksynergismen
Koma Grad IV
Keine Reaktion auf Schmerzreize

Nackensteife

Die Beurteilung eines Meningismus als Leitsymptom einer akut entzündlichen Hirnerkrankung oder einer Subarachnoidalblutung gehört zu den unverzichtbaren Bestandteilen der Untersuchung bei bewusstseinsgetrübten Patienten und/oder bei akutem Kopfschmerz, und auch das Nicht-Vorliegen eines solchen sollte aus forensischen Gründen zwingend dokumentiert werden. Differenzialdiagnostische Probleme ergeben sich in 2 Situationen:
1.
Bei komatösen Patienten kann trotz Vorliegen einer meningealen Reizung die reflektorische Muskelverkrampfung nicht mehr nachweisbar sein, sodass in diesem Fall keine Aussage möglich ist.
 
2.
Bei schmerzhafter Blockierung der Halswirbelsäule kann ein „Pseudo-Meningismus“ bestehen. Die schmerzhafte Muskelanspannung zeigt sich jedoch typischerweise dann nicht nur bei der Nackenbeugung, sondern auch bei Rotation des Kopfes.
 
Die Untersuchung auf einen bestehenden Meningismus gehört bei geklagten Kopfschmerzen und/oder bewusstseinsgetrübten Patienten zu den zwingend zu erhebenden und dokumentierenden Befunden.

Hirnstammfunktionen

Wesentliche Bedeutung kommt der Untersuchung der sog. Hirnstammreflexe zu, die unabhängig von der Kooperation des Patienten zu untersuchen sind und Aufschlüsse über die Lokalisation und Ausdehnung einer Hirnstammschädigung geben (Tab. 11).
Tab. 11
Prüfung der Hirnstammreflexe bei Bewusstlosen
Hirnstammreflex
Hirnnerv
Pupillenweite und -reaktion
II, III
Okulozephaler Reflex („Puppenkopfphänomen“)
III–VIII
Kornealreflex
V, VII
Reaktion auf Schmerzreize im Trigeminusbereich
V
Trachealreflex (Würgreiz)
IX, X
Neben den bereits in Abschn. 1 beschriebenen Funktionen gehört hierzu auch die Prüfung des okulozephalen Reflexes. Dieser wird durch schnelles Drehen oder Kippen des Kopfes geprüft. Beim wachen, jedoch auch beim hirntoten Patienten, bleiben die Augen während dieses Tests ohne Reaktion in ihrer Ausgangsstellung. Bei komatösen, nicht hirntoten Patienten kommt es demgegenüber zu einer langsamen Gegenbewegung der Augen. Hieraus resultiert der Name „Puppenkopfphänomen“.

Beurteilung motorischer Funktionen

Bei bewusstseinsgestörten, jedoch nicht tief komatösen Patienten kommt es bei Setzen von Schmerzreizen zu motorischen Reaktionen, die indirekt Aufschluss über bestehende Paresen geben. Ausnahmen sind hier die Beuge- und Streckbewegungen der Arme und/oder Beine auf Schmerzreize („Synergismen“), die typischerweise uniform reproduzierbar auftreten und die Folge einer spinalen Enthemmung und typisches Merkmal tiefer Mittelhirnsyndrome sind (Tab. 12).
Tab. 12
Synopsis der Symptomatik bei der Entwicklung von Hirnstammsyndromen
 
Mittelhirnsyndrom
Bulbärhirnsyndrom
1
2
3
4
1
2
Komatiefe
Somnolent
Soporös
Koma
Koma
Koma
Spontanmotorik
+
(+)
Schmerzreize
+
+
Streckung
Beugung
 
Babinski
+
+
+
(+)
Pupillenweite
Eng
Mittelweit
Weit
   
Lichtreaktion
+
+
(+)
(+)
Bulbusstellung
Konvergenz
Divergenz
Divergenz
Divergenz
Bulbusbewegungen
Schwimmend
Okulozephaler Reflex
+
+
Kornealreflex
+
+
+
(+)
(+)
Trachealreflex
+
+
+
+
(+)
Cheyne-Stokes
Schnappatmung
+ = vorhanden; (+) = eingeschränkt bzw. fraglich; − = fehlend

Reflexstatus

Insbesondere in der Erkennung von Halbseitensymptomen kommt auch der Prüfung der Eigen- und Fremdreflexe wesentliche Bedeutung zu. Das Auftreten eines beidseitigen Babinski-Reflexes spricht beim bewusstseinsgestörten Patienten für eine generalisierte Hirnstammläsion z. B. im Rahmen einer Basilaristhrombose, beim wachen Patienten für eine Rückenmarksläsion. Ein einseitiger Babinski-Reflex lässt demgegenüber an eine umschriebene Hirnläsion denken.

Atmung

Selbstverständlicher Bestandteil der Untersuchung bewusstseinsgestörter Patienten ist die Beurteilung der Atmung einschließlich einer Blutgasanalyse bzw. zumindest einer Bestimmung der Sauerstoffsättigung des Bluts. Das Auftreten insuffizienter Atmungsformen (Tab. 12) erfordert ggf. eine kontrollierte Beatmung.

Erkennen psychogener neurologischer Ausfälle

Psychogene neurologische Symptome sind bemerkenswert häufig und es gibt so gut wie kein neurologisches Beschwerdebild, das nicht auch psychogen verursacht sein kann. Die Differenzierung psychogener von körperlich begründbaren neurologischen Ausfällen stellt für den Untersucher stets eine erhebliche Herausforderung dar. Die Angst vor dem Übersehen einer „echten“ Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems führt häufig zu umfangreichen Abklärungen, die dissoziative Störungen weiter „zementieren“ und eine erfolgreiche Behandlung erschweren können. Es ist daher von wesentlicher Bedeutung, die wichtigsten differenzialdiagnostischen Kriterien zu kennen, um möglichst frühzeitig eine entsprechende Verdachtsdiagnose stellen zu können.
Charakteristische Befunde bei allen Formen psychogener neurologischer Ausfälle sind:
  • Widerspruch zwischen geltend gemachten Symptomen und objektiven Untersuchungsbefunden,
  • fehlende Übereinstimmung mit den bekannten anatomischen Bahnen und physiologischen Mechanismen aufgrund der laienhaften Vorstellungen des Patienten von einer körperlichen Erkrankung,
  • auffällige Gleichgültigkeit gegenüber der Störung im Sinne einer „belle indifférence“ (allerdings nur bei einem Teil der Betroffenen).
Darüber hinaus zeigt die nachfolgende Übersicht eine Synopsis der für die Differenzialdiagnose wichtigsten Befunde bei klinisch häufigen dissoziativen Symptomkonstellationen.
Charakteristische Befunde bei psychogenen neurologischen Symptomen
  • Psychogene Bewusstseinsstörungen
    • Normale Atmungs- und Kreislaufparameter
    • Regelmäßige Schluckbewegungen am Kehlkopf
    • Aktiver Widerstand beim passiven Öffnen der Augenlider
    • Fehlender okulozephaler Reflex (Tab. 11)
  • Psychogene Anfälle
    • Regellose, ausfahrende „Krampfbewegungen“
    • Keine weite lichtstarre Pupille oder Blickdeviation
    • Erhaltener Kornealreflex (Blinzelreflex)
    • Fehlen von Blutdruckspitzen oder Zyanose
    • Zungenbiss sehr selten, dann jedoch eher multipel oder an der Zungenspitze
    • Einnässen und Einkoten nur sehr selten
    • Normales EEG während und kurze Zeit nach dem Anfall
    • Normaler Prolaktinspiegel im Blutserum 15–30 min nach dem Anfall
    • Zeitlicher Zusammenhang zwischen den Anfällen und belastenden Situationen
  • Psychogene Sehstörungen
    • Häufig Verlust der Sehschärfe, Abnahme der Tiefenschärfe, Verschwommen- oder „Tunnelsehen“, selten komplette Blindheit
    • Beim „Tunnelsehen“ fehlende Gesichtsfeldzunahme bei größerer Entfernung
    • Häufig gute Orientierung im Raum trotz geklagter Sehstörung
    • Erhaltene Pupillomotorik
    • Erhaltener optokinetischer Nystagmus (Fixieren eines Objektes im bewegten Gesichtsfeld)
    • Unauffällige visuell evozierte Potenziale (ggf. Halb- und Viertelfeldreizung)
  • Psychogene Lähmungen
    • Unauffällige Muskeleigenreflexe, fehlende Pyramidenbahnzeichen
    • Unauffälliger Muskeltonus
    • Fehlen von Muskelatrophien (bei Bestehen über Wochen hinaus bedeutsam)
    • Bei inkompletten Lähmungen sakkadierter Einsatz der Muskelkraft
    • Übertrieben wirkende Kraftanstrengungen bei Muskelprüfungen
    • Aufgehobene Lähmungen im Schlaf und bei Routinetätigkeiten
    • Nach Halten und anschließendem plötzlichen Loslassen fällt die Extremität beim liegenden Patienten nicht den Erwartungen der Schwerkraft entsprechend (z. B. auf das Gesicht) und auch nicht sofort herab
    • Bei Ablenkung synergistische Mitinnervation angeblich gelähmter Muskeln
    • Gleichzeitige Aktivierung agonistischer und antagonistischer Muskelgruppen
    • Unauffällige magnetisch evozierte Potenziale (beweisend)
  • Psychogene Sensibilitätsstörungen
    • Abgrenzung der Sensibilitätsstörung entspricht nicht dem Muster einer radikulären oder peripheren Nervenläsion (meist handschuh- bzw. strumpfförmig, den Begrenzungen von Kleidungsstücken entsprechend)
    • Bei halbseitigen Sensibilitätsstörungen strenge Mittellinienbegrenzung
    • Adäquates Betasten von Gegenständen trotz angegebener völliger Gefühllosigkeit
    • Vermehrt Fehlantworten bei schnell wechselnden „Alternativwahl-Tests“ (z. B. regelmäßig spitz als stumpf und stumpf als „gar nichts gespürt“ angegeben)
    • Unauffällige somatosensibel evozierte Potenziale (beweisend bei guter Reproduzierbarkeit)
  • Psychogene Gleichgewichtsstörungen
    • Häufig wild gestikulierende Ausgleichsbewegungen
    • So gut wie keine Stürze mit Verletzungen
    • Unsicherheit beim Stehen mit geschlossenen Augen verschwindet bei Ablenkung (z. B. gleichzeitig durchgeführte Zeigeversuche)

„Red flags“ der neurologischen Untersuchung

Neben den einzelnen Untersuchungsbefunden sollten jedem Psychiater auch die kritischen Befundkonstellationen („red flags“) geläufig sein, die unverzüglich (!) Anlass zu weiteren diagnostischen Maßnahmen und/oder zur Heranziehung eines Fachneurologen geben sollten, da in diesen Fällen durch schuldhaftes Zögern möglicherweise deletäre Folgen entstehen können. Die wichtigsten dieser Befundkonstellationen finden sich in Tab. 13.
Tab. 13
Kritische Befundkonstellationen („red flags“) mit der Erfordernis unverzüglicher diagnostischer und/oder therapeutischer Maßnahmen
Symptomkonstellation
Verdachtsdiagnose
Mögliche Konsequenzen
Akute Bewusstseinsstörung
• Mit Ateminsuffizienz
Variable Ursachen
• Mit beidseits positivem Babinski-Reflex
Basilaristhrombose
Revaskularisierende Therapie (Lyse, neuroradiologische Intervention)
• Mit anhaltenden motorischen Entäußerungen (ggf. auch nur Nesteln oder Schmatzen)
(Komplex-fokaler) Anfallsstatus
Antiepileptika, ggf. Sedierung mit maschineller Beatmung
Akuter Kopfschmerz
• Mit Meningismus
Je nach Ursache sofortige Antibiotikatherapie bzw. Aneurysmasuche/-ausschaltung
• Mit Krampfanfall
Sinusvenenthrombose
Antikoagulation
Psychotische Symptome
• Mit Entzündungszeichen und/oder Meningismus
Herpesenzephalitis
Virustatika
• Mit Störung der Okulomotorik und/oder Sehstörungen
Basilaristhrombose (Basilarisspitzensyndrom)
Revaskularisierende Therapie
Sonstige Symptome
Akute Halbseitenlähmung
Hirninfarkt/-blutung
Bei Hirninfarkt revaskularisierunde Therapie, ev. Kraniektomie
Umschriebener Rückenschmerz mit erhöhtem CRP im Labor
Abszess im Bereich der Wirbelsäule
Antibiotikatherapie, operative Entlastung
Aufsteigende Beinschwäche mit Verlust der Muskeleigenreflexe
Polyradikulitis
Maschinelle Beatmung bei Ateminsuffizienz, Immunglobuline
Akute Blasen-/Mastdarmstörung
Rückenmark-/Kaudaläsion
Operative Entlastung

Bildgebende Diagnostik

Die Magnetresonanztomografie (MRT) ist heute Methode der Wahl zur Erkennung bzw. zum Ausschluss der meisten Erkrankungen des Gehirns und Rückenmarks. Die Computertomografie (CT) ist dem gegenüber nur mehr bei bestimmten Indikationen sowie in Notfallsituationen von Bedeutung (nachfolgende Übersicht). Annähernde Gleichwertigkeit besteht bzgl. der zerebralen Gefäßdiagnostik für CT und MRT (CT- bzw. MR-Angiographie), wobei jede Technik ihre spezifischen Vor- und Nachteile besitzt. „Konventionelle“ Röntgen-Kontrastmitteluntersuchungen (digitale Subtraktionsangiografie, Myelografie) spielen in der Routinediagnostik kaum mehr eine Rolle und sollten aufgrund der möglichen Gefährdung des Patienten nur nach strenger Indikationsstellung eingesetzt werden, wenn andere Methoden nicht einsetzbar sind. Zu den Details Kap. Bildgebende Verfahren in der Psychiatrie.
Wichtigste Indikationen zur Durchführung von CT-Untersuchungen von Kopf und Wirbelsäule
  • Notfalldiagnostik beim Schlaganfall
  • Untersuchungen bei unruhigen Patienten
  • Beurteilung knöcherner Strukturen (z. B. Schädelknochen, kraniozervikaler Übergang, Wirbelsäule)
  • Generelle MRT-Kontraindikation (nicht MRT-geeignete Herzschrittmacher, ferromagnetische Teile im Körper)
  • Beantwortung spezieller Fragen (z. B. äußere und innere Liquorräume, Atrophiezeichen)
  • Kontrastmitteldarstellung des Spinalraums („Myelo-CT“)
Nichtmagnetische Metalle (z. B. Aneurysma-Clips) stellen keine Kontraindikation für eine Magnetresonanztomografie (MRT) dar, können jedoch aufgrund von Artefakten ggf. die Beurteilung unmöglich machen.

Elektrophysiologische Diagnostik

Die verschiedenen Methoden der elektrophysiologischen Diagnostik (Tab. 14) ermöglichen insbesondere bei klinisch unklarer Symptomatik eine umfassende Beurteilung der Funktion des zentralen und peripheren Nervensystems. Zu Details der Elektroenzephalografie Kap. Neurophysiologische Untersuchungsmethoden.
Tab. 14
Methoden der elektrophysiologischen Diagnostik mit ihren wichtigsten Beurteilungskriterien und Problemen
Elektroenzephalografie (EEG)
Ziel
Erkennung und Differenzierung zerebraler Krampfanfälle, diffuser Hirnfunktionsstörungen sowie Schlafstörungen, Einsatz in der sog. „Hirntoddiagnostik“
Technik
Ableitung der Hirnpotenziale mit Oberflächen-, im Einzelfall auch Nadelelektroden
Kriterien
Allgemeinveränderung (Verlangsamung des Grundrhythmus)
Epilepsietypische Potenziale (z. B. Spike-wave-Komplexe)
Herdbefund (angesichts bildgebender Befunde heute ohne Bedeutung)
Probleme
Artefakte bei unruhigen, stark schwitzenden und adipösen Patienten
Elektromyografie (EMG)
Ziel
Erkennung und Differenzierung von Neuro- und Myopathien
Technik
Ableitung typischer Kennmuskeln mit Nadelelektroden
Kriterien
Spontanaktivität: Fibrillationen und positive scharfe Wellen als Hinweis für eine frische neurogene Schädigung
Polyphasien: Aufgesplittete Potenziale bei Willküraktivität als Hinweis auf eine ältere neurogene Schädigung (hohe Amplituden) oder auch Myopathie (niedrige Amplituden)
Probleme
Nach akuter Nervenschädigung EMG erst nach ca. 14 Tagen „positiv“
Elektroneurografie
Ziel
Prüfung der Intaktheit der peripheren motorischen und sensiblen Nervenleitung
Technik
Elektrische Reizung von Nerven und Ableitung der motorischen bzw. sensiblen Antwort vom Muskel bzw. Nerv
Kriterien
Distale Latenz: verlängert vor allem bei distalen Engpasssyndromen (z. B. Karpaltunnelsyndrom)
Nervenleitgeschwindigkeit: verlangsamt bei demyelinisierenden Nervenschäden
Amplitude: vermindert bei axonalen Nervenschäden
F-Welle: Prüfung der proximalen motorischen Strecke bis zum Rückenmark
Probleme
Selten Ableiteprobleme bei ausgeprägter Adipositas und/oder Ödemen
Visuell/akustisch/somatosensibel evozierte Potenziale (VEP, AEP, SEP)
Ziel
Prüfung der Intaktheit von Nervenbahnen bis zum Kortex
Technik
Visuelle, akustische oder sensible Reizung und Ableitung kortikaler (bei SEP auch spinaler) Antwortpotenziale
Kriterien
Latenz zwischen Reiz und Antwort als Kriterium für Intaktheit der sensiblen Nervenbahn, zusätzliche Hinweise anhand der Amplituden (Normwerte, Seitenvergleich)
Probleme
Relativ störempfindlich und abhängig von der Kooperation des Patienten
Magnetisch evozierte Potenziale (MEP)
Ziel
Prüfung der Intaktheit der zentralen und peripheren motorischen Bahn, nur minimal abhängig von der Kooperation des Patienten
Technik
Gezielte Magnetstimulation des Kortex bzw. spinal und Ableitung der betreffenden Muskelkontraktion
Kriterien
Latenz zwischen Reiz und Antwort sowie Amplitude als Kriterium für Intaktheit der motorischen Nervenbahn (Normwerte, Seitenvergleich)
Probleme
Nicht einsetzbar bei Herzschrittmacher und ferromagnetischen Gegenständen in der Nähe der Stimulation

Ultraschalldiagnostik

Neurovaskuläre Ultraschalldiagnostik

Die Ultraschalldiagnostik in Form der extra- und transkraniellen Duplexsonografie hat mit den heute zur Verfügung stehenden Geräten ein hohes diagnostisches Niveau erreicht. Insbesondere in Ergänzung zur MR-Angiographie ist damit eine zuverlässige Erkennung und Bewertung von Stenosen und Verschlüssen der extra- und großen intrakraniellen hirnversorgenden Arterien möglich. Die „einfache“ Dopplersonografie mit der Stiftsonde besitzt demgegenüber nur noch bei einigen wenigen klar definierten Fragestellungen Bedeutung. Die nachfolgende Übersicht nennt die wichtigsten Indikationen zur Durchführung neurovaskulärer Ultraschalluntersuchungen.
Wichtigste Indikationen zur Ultraschalldiagnostik an den hirnversorgenden Arterien
  • Extrakranielle Dopplersonografie
    • Erkennung und Verlaufsbeobachtung hochgradiger Stenosen der extrakraniellen A. carotis
    • Erkennung eines Subclavian-Steal-Effekts bei größeren Blutdruckdifferenzen an den Armen
  • Extrakranielle Duplexsonografie
    • Erkennung und Abklärung therapeutischer Konsequenzen bei Karotisstenosen und -verschlüssen
    • Beurteilung von Durchblutungsstörungen im vertebrobasilären System
    • Abklärung pulsierender Halstumoren
  • Transkranielle Dopplersonografie (TCD)
    • Ausschluss intrakranieller Gefäßstenosen
    • Beurteilung der zerebrovaskulären Reservekapazität bei Karotisverschlüssen
    • Nachweis eines kardialen Rechts-Links-Shunts (offenes Foramen ovale)
    • Erkennen und Verlaufsbeobachtung von Vasospasmen
    • Erkennen des zerebralen Kreislaufstillstands
  • Transkranielle Duplexsonografie – wie TCD, zusätzlich
    • Erkennung und Verlaufsbeobachtung intrakranieller Gefäßverschlüsse und -stenosen
    • Gefäßdiagnostik beim akuten Schlaganfall

Nervensonografie

Die sonografische Diagnostik von Nervenläsionen findet in den letzten Jahren zunehmende Verbreitung in Ergänzung zu den oben genannten elektrophysiologischen Verfahren. Mit Hilfe hochfrequenter Sonden (10–13 MHz) lassen sich die wichtigsten peripheren Nerven sonografisch darstellen und in ihrem Verlauf verfolgen. Insbesondere das Karpaltunnel- und das Sulcus-ulnaris-Syndrom als häufigste Engpasssyndrome können auf diese Weise zuverlässig diagnostiziert werden, da die typische Einschnürung des Nerven und der Verlust der faszikulären Struktur bildlich darstellbar ist.

Liquordiagnostik

Die wichtigsten Indikationen zur Durchführung einer Liquordiagnostik finden sich in nachfolgender Übersicht. Voraussetzungen für die Durchführung von Liquorpunktionen sind:
  • Ausschluss eines wesentlichen Hirndrucks im CT oder MRT (die ophthalmoskopische Untersuchung auf das Vorliegen einer Stauungspapille ist heute als obsolet anzusehen),
  • Ausschluss einer relevanten Gerinnungsstörung (Thrombozyten < 50.000/μl, INR > 1,5), Untersuchung dann nur in Notfällen.
Die wichtigsten Parameter der Liquordiagnostik sind in Tab. 15 zusammengefasst. Zu weiteren Details Kap. Laborchemische Diagnostik, Biomarker in der Psychiatrie.
Tab. 15
Wichtigste Parameter der Liquordiagnostik und deren Bedeutung
Basisparameter
Normwerte
Bedeutung
Zellzahl
<5/μl
Erhöht bei entzündlichen ZNS-Prozessen
Zelldifferenzierung
überwiegend Lymphozyten
Erhöhter Anteil an Granulozyten bei bakteriellen ZNS-Erkrankungen (Ausnahme Tuberkulose)
Gesamteiweiß
<50 mg/dl
Erhöht bei Störungen der Blut-Liquor-Schranke, jedoch auch bei Störungen der Liquorzirkulation, bei intrathekaler Proteinsynthese, Blutung in die Liquorräume oder artefiziellen Blutbeimengungen. Gegebenenfalls weitere Differenzierung erforderlich
Laktat < 2,1 mmol/l bzw. Liquorglukose ≥ 50 % der Serumglukose
Ergänzungsparameter bei erhöhter Zellzahl zur Differenzierung bakterieller und viraler entzündlicher ZNS-Prozesse
Erweiterte Diagnostik
Bedeutung
Immunglobuline (IgM/IgG/IgA)
Liquor-Serum-Quotient zum Nachweis einer intrathekalen Immunglobulinsynthese
Oligoklonale Banden
Empfindlicher Nachweis einer intrathekalen IgG-Synthese (v. a. bei multipler Sklerose)
Liquorzytologie
Erkennung maligner Zellen
Erregerspezifische Antikörper
Vergleich IgM/IgG-Antikörper im Liquor und Serum zur Charakterisierung akuter und chronischer Entzündungen
Erregerspezifische Proteine
Nachweis akuter Entzündungen mittels PCR
Hirneigene Proteine
z. B. Nachweis von Protein 14-3-3 in der Diagnostik der Creutzfeld-Jakob-Krankheit
Diagnostik maligner Prozesse
Wichtigste Indikationen zur Liquordiagnostik
Bei Verdacht auf:

Untersuchungsbogen

Für die standardisierte neurologische Untersuchung kann der nachfolgende Untersuchungsbogen (Abb. 3) verwendet werden.
Weiterführende Literatur
Berlit P (Hrsg) (2011) Klinische Neurologie, 3. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio
Dahmer J (2006) Anamnese und Befund: Die ärztliche Untersuchung als Grundlage klinischer Diagnostik, 10. Aufl. Thieme, Stuttgart
Grüne S, Schölmerich J (Hrsg) (2007) Anamnese – Untersuchung – Diagnostik. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio
Hacke W (2016) Neurologie, 14. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio
Hufschmidt A, Lücking CH, Rauer S (Hrsg) (2013) Neurologie compact. Für Klinik und Praxis, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart
Kornhuber ME, Hierz S (Hrsg) (2005) Die neurologische Untersuchung. Steinkopff, Darmstadt
Zilles K, Rehkämper G (1998) Funktionelle Neuroanatomie, 3. Aufl. Springer, Berlin/Heidelberg/New York/Tokio