Kollegiale Hilfe (KoHi) – Beschreibung des Interventionsprogramms zur Reduktion der Auswirkung belastender Arbeitssituationen im Sinne des Second-Victim-Phänomens bei patientennah tätigem Personal in der Klinik Hietzing, Wien, Österreich (KoHi-II-Studie)
verfasst von:
Christian Gatterer, Elisabeth Krommer, Miriam Ablöscher, Victoria Klemm, Hannah Rösner, Reinhard Strametz, Wolfgang Huf, Dr. Brigitte Ettl
Ein unvorhergesehener klinischer Zwischenfall kann bei medizinischem Personal zu einer Traumatisierung mit psychologischen, kognitiven und körperlichen Folgen führen (Second-Victim-Phänomen). Ein Entlastungsgespräch unter Kolleg:innen (Peer-to-Peer) bedient sich standardisierter Abläufe und scheint eine geeignete, niederschwellige Strategie zu sein, um Kolleg:innen psychisch und emotional zu entlasten. In der Klinik Hietzing (Wien) wurde im Zeitraum von 2019–2021 unter wissenschaftlicher Begleitung ein umfassendes Programm zur Unterstützung der Mitarbeiter:innen nach belastenden Ereignissen implementiert. Ziel dieses Programms, welches im deutschen Sprachraum in diesem Umfang bisher erstmals durchgeführt wurde, war primär die Erhebung valider Daten zur Prävalenz des Second-Victim-Phänomens und zum Interventionseffekt der „Kollegiale Hilfe“ (KoHi). In einem mehrstufigen Verfahren wurden zunächst rund 2800 Mitarbeiter:innen aller Berufsgruppen und Abteilungen mit Hilfe des SeViD-Fragebogens befragt. In weiterer Folge wurden 122 Personen in einer 5‑stündigen Schulung zu Kollegial Helfenden ausgebildet. Diese Personen sollten nach dieser Schulung imstande sein, psychologische Entlastungsgespräche zu führen und Erstmaßnahmen zu setzen. Unmittelbar vor und nach jeder Schulung fand eine schriftliche Befragung der Teilnehmer:innen statt, um Erwartungen und die erworbene Kompetenz sowie die Selbstwirksamkeit zu eruieren. Die häufigsten Beweggründe für die Teilnahme an der Schulung waren ethischer/altruistischer Natur und der Wunsch nach Kompentenzerweiterung. Die bereits initial sehr hohe Motivation wurde durch die Schulungsintervention noch weiter gesteigert. Nach der Schulung fühlten sich 96 % der Teilnehmer:innen kompetent genug, ihre Kolleg:innen über die Relevanz der Second-Victim-Thematik zu informieren. Neben den bereits beschriebenen Maßnahmen wurde eine systematische Evaluation aller KoHi-Einsätze mittels telefonischer Supervision etabliert, um die Kollegial Helfenden selbst zu entlasten und ggf. weitere psychologische Unterstützungsmaßnahmen für die Second Victims zur Verfügung zu stellen. Ungefähr 3 Jahre nach der ersten Basiserhebung erfolgte eine zweite Befragung, um die Jahresprävalenz des Second-Victim-Phänomens, den Wissens- und Kenntniszuwachs sowie die Nutzung der vorhandenen Unterstützungsangebote zu evaluieren.
Die in dieser Studie präsentierten Daten sind auf Anfrage bei der entsprechenden Autorin erhältlich.
Hintergrund
Kritische Situationen in der Patient:innenversorgung, wie z. B. der unerwartete Tod von Patient:innen, Beinahe-Schäden oder fehlerhafte Behandlungen sind oft nicht nur mit gravierenden Folgen für die Patient:innen verbunden, sondern können auch belastende und traumatisierende Ereignisse im Leben der Behandler:innen und Pfleger:innen darstellen.
Albert Wu [1] prägte im Jahr 2000 den Begriff des Second Victim (SV). Damit ist ein zweites Opfer neben dem:der (beinahe) geschädigten Patienten:in gemeint. Auch der:die Behandler:in kann geschädigt werden, wenngleich sich die Auswirkungen auf dessen/deren mentale Gesundheit beschränken.
Anzeige
Die Definition des Begriffs Second Victim wurde 2009 von Scott et al. [2] erweitert und auf alle Angehörigen der Gesundheitsberufe ausgedehnt, welche durch „einen unvorhergesehen Zwischenfall am Patienten“ traumatisiert und damit selbst zum Opfer werden können. Im Jahr 2022 entwickelten internationale Expert:innen des European Researchers’ Network Working on Second Victims (ERNST) eine evidenz- und konsensbasierte Definition: „Any health care worker, directly or indirectly involved in an unanticipated adverse patient event, unintentional healthcare error, or patient injury and who becomes victimized in the sense that they are also negatively impacted“ [3].
Ein traumatisierendes Ereignis kann bei den betroffenen Behandler:innen zu psychologischen, kognitiven und körperlichen Reaktionen [1, 4, 5] sowie in weiterer Folge zu dysfunktionalen Verarbeitungsmechanismen [6] führen. Aus Angst und Furcht vor zukünftigen Fehlern könnte die Qualität der weiteren Patient:innenversorgung vermindert werden [7]. Auch die Beendigung des erlernten Berufes [8] oder im schlimmsten Fall der Suizid der Behandler:innen werden in der Literatur beschrieben [9].
Die Prävalenz dieser Second-Victim-Erfahrung im angloamerikanischen Raum liegt zwischen 10 und 43 % [10, 11]. Einige Studien in Europa [12, 13] und auch in Österreich [14, 21] beschreiben das Second-Victim-Phänomen und seine Bedeutung für das Gesundheitswesen. Untersuchungen von Ullström und Kolleg:innen zufolge scheint die Prävalenz des Second-Victim-Phänomens auch in Europa hoch zu sein [15], entsprechende Hilfsangebote sind jedoch unzureichend etabliert. Beispiele von Hilfsangeboten aus dem angloamerikanischen Raum wie das forYOU-Programm der University Missouri [16] zielen darauf ab, durch eine systematische kollegiale Hilfe psychologische und körperliche Reaktionen auf Seiten der Behandler:innen durch „unvorhergesehene Zwischenfälle am Patienten“ [2] zu minimieren.
Die Kollegiale Hilfe bedient sich standardisierter Abläufe und scheint damit eine geeignete Strategie zu sein, akute emotionale Stressreaktionen abzufedern und die Belastung der Second Victims zu reduzieren [8].
Anzeige
In Europa, wie auch in Österreich, fehlten bislang belastbare Untersuchungen, welche die Prävalenz des Second-Victim-Phänomens innerhalb einer definierten Gesundheitseinrichtung ermitteln. Ebenso wenig wurden die Effekte systematischer Interventionen untersucht, welche das belastete Personal unterstützen sollen.
Nach unserer Kenntnis etablierten wir in der Klinik Hietzing das erste systematisches Interventionsprogramm im deutschsprachigen Raum zur Unterstützung der Mitarbeiter:innen nach belastenden Ereignissen. Das Programm wurde von Anbeginn wissenschaftlich begleitet, um die Effekte der Intervention zu evaluieren und valide Daten zur Prävalenz des Second-Victim-Phänomens innerhalb einer Gesundheitseinrichtung zu erheben.
Methode
Die vorliegende Publikation dient der Beschreibung der Methode des Interventionsprogramms zur Reduktion der Auswirkung belastender Arbeitssituationen in der Klinik Hietzing. Detailliertere Ergebnisse zu den Fragebögen hinsichtlich Erwartungen vor der Schulungsinitiative (FB2), Erfahrungen nach der Schulung (FB3a) sowie die Evaluation der Einsatzmeldung (FB4) und die zweite Vollerhebung werden an einer anderen Stelle publiziert werden.
Das mehrstufige Programm und die Intervention fanden zwischen 2019 und 2022 in der Klinik Hietzing statt (Tab. 1). Die Klinik ist Teil des Wiener Gesundheitsverbundes (WiGev) mit insgesamt 20 Abteilungen und ungefähr 1100 Betten. Pro Jahr werden mehr als 50.000 stationäre und 250.000 ambulante Patient:innen behandelt [18].
Tab. 1
Übersicht des Zeitplans des Kollegiale-Hilfe(KoHi)-Projekts an der Klinik Hietzing
Erste Basiserhebung (KoHi-I)
Fragebogen 1 (FB1)
SeViD Fragebogen
April –bis Mai 2019
Circa 2800 patientennah arbeitende Mitarbeiter:innen der Klinik Hietzing
Erwartungen vor der Schulungsintervention (KoHi-II)
Fragebogen 2 (FB2)
Mai 2019 bis Dezember 2021
122 Kollegial Helfende
Erfahrungen nach der Schulungsintervention (KoHi-II)
Fragebogen 3a (FB3a)
Mai 2019 bis Dezember 2021
122 Kollegial Helfende
Erfahrungen nach 3 KoHi-Einsätzen (KoHi-IV)
Fragebogen 3b
(FB3b)
Juni 2019 bis heute
–
Im Abschluss an jedes durchgeführte Entlastungsgespräch im Sinne einer Einsatzmeldung (KoHi-III/IV)
Fragebogen 4 (FB4)
Nach jedem Einsatz
–
Zweite Vollerhebung (KoHi-V)
Fragebogen 1
SeViD-Fragebogen
Juni bis August 2022
Circa 2800 patientennah arbeitende Mitarbeiter:innen
Vernetzungstreffen
Kein Fragebogen
4‑mal jährlich
Alle 122 (2023: 109) Kollegial Helfende können freiwillig an einem oder mehreren Vernetzungstreffen pro Jahr teilnehmen
Zunächst wurde der Bekanntheitsgrad des Second-Victim-Phänomens unter den patientennah arbeitenden Mitarbeiter:innen untersucht. In weiterer Folge fanden mehrere Mitarbeiter:innenschulungen zu Kollegialer Hilfe statt. Erfahrungen und Erwartungen vor und nach diesen Schulungen wurden systematisch erhoben, um den Effekt des Interventionsprogramms zu evaluieren.
Teilnehmer:innen aller Berufsgruppen – Pflegefachpersonen, medizinische, therapeutische und diagnostische Gesundheitsberufe (MTDG), Ärzt:innen, Verwaltungspersonal und Abteilungshelfer:innen – aus allen Abteilungen wurden in einer 5‑stündigen Schulung hinsichtlich psychologischer Erstmaßnahmen und der Durchführung von Entlastungsgesprächen instruiert. Die Auszubildenden wurden von ihren Führungskräften nominiert und entsendet. Eine selbstständige Anmeldung war zwar nicht möglich, jedoch konnten sich Freiwillige bei der Leitung zur Entsendung melden. Die Schulungen wurden gemeinsam mit zwei Expertinnen der psychologischen Beratungsstelle des Wiener Gesundheitsverbundes durchgeführt. Inhalt der Schulungen waren neben theoretischen Grundlagen auch praktische Anwendungsbeispiele und zahlreiche Rollenspiele. Ziel dieser Schulung war es, die Schulungsteilnehmer:innen mit Gesprächstechniken vertraut zu machen, mit welchen Entlastungsgespräche erfolgreich geführt werden können, um betroffene Mitarbeiter:innen psychologisch aufzufangen.
Neben der initialen 5‑stündigen Schulung finden aktuell noch immer 4 Vernetzungstreffen pro Jahr statt. Kollegial Helfende haben hier die Möglichkeit, sich über Erfahrungen auszutauschen. Zusätzlich kann im Rahmen praktischer Übungen das erworbene Wissen aufgefrischt werden.
Zunächst fand zwischen April und Mai 2019 eine anonyme, freiwillige und fragebogenbasierte Befragung der rund 2800 patientennah arbeitenden Mitarbeiter:innen statt. Alle Berufsgruppen und Abteilungen wurden eingeladen, an dieser ersten schriftlichen Basiserhebung teilzunehmen (KoHi-I-Studie). Die Aussendung und Einladung wurde von mehreren Erinnerungsschreiben begleitet. In dieser ersten Basiserhebung wurden Daten erhoben werden, um die Jahresprävalenz und die Lebensprävalenz des Second-Victim-Phänomens unter den Mitarbeiter:innen zu schätzen.
Anzeige
In einem zweiten Schritt fanden zwischen Mai 2019 und Dezember 2021 mehrere Schulungen statt. Vor und nach der Lehrintervention wurden die Erwartungen, das Wissen und die Erfahrungen hinsichtlich des Second-Victim-Phänomen erhoben, um die Effekte der Intervention zu evaluieren (KoHi-II-Studie).
Unmittelbar vor Beginn der Schulungsintervention wurde ein Fragebogen mit 9 Items (FB2) an die Teilnehmer:innen ausgesandt. Dieser enthielt Fragen hinsichtlich der Motivation als Kollegial Helfender tätig zu sein und Fragen zur Selbsteinschätzung im Umgang mit kritischen Situationen und Traumatisierung. Außerdem wurde die Grunderwartung an die Schulungsmaßnahmen erhoben.
Nach jeder Schulung wurden anhand eines 7‑Item-Fragebogens (FB3a) die Schulungserfahrungen evaluiert. Fragebogen 3a enthielt, wie Fragebogen 2, von den Autor:innen selbst erstellte und mittels kognitiver Pretest-Techniken inhaltsvalidierte Fragen hinsichtlich der Relevanz der Kollegialen Hilfe. Die Teilnehmer:innen wurden auch gebeten, ihre Kompetenz, ein psychologisches Entlastungsgespräch zu führen, selbst einzuschätzen.
Nach der oben beschriebenen Schulung wurden die Teilnehmer:innen in den krankenhausinternen Pool der Kollegial Helfenden aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt konnten sie jederzeit von abteilungsfremden oder abteilungsinternen Kolleg:innen kontaktiert werden. Eine solche Alarmierung war berufsgruppenübergreifend und interdisziplinär möglich. So konnte im Bedarfsfall beispielsweise eine betroffene Pflegefachkraft einen Arzt oder Ärztin für ein Entlastungsgespräch kontaktieren oder umgekehrt.
Anzeige
Nach jedem Hilfseinsatz und jedem geführten Entlastungsgespräch erfolgte eine telefonische Einsatzmeldung durch den Kollegial Helfenden. Ein psychologisches Supervisionsteam erhob in pseudoanonymisierter Weise mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens (FB4) die Dauer und Adäquanz des Entlastungsgesprächs. Diese telefonische Konsultation diente einerseits zur Klärung, ob weitere psychologische Unterstützungsmaßnahmen für den:die betroffene:n Mitarbeiter:in notwendig sind (KoHi-III-Studie) und andererseits, um die Kollegial Helfenden selbst zu entlasten und ihnen eine psychologische Sicherheit zu bieten (KoHi-IV-Studie).
Nach drei durchgeführten Entlastungsgesprächen in der Rolle eines Kollegial Helfenden wurde mittels eines 7‑Item-Fragebogens (FB3b) die Selbstwirksamkeit evaluiert (KoHi-IV-Studie).
Zur Längsschnittbetrachtung der Ergebnisse wurden Pseudonymisierungscodes in den Fragebögen 2, 3a und 3b verwendet. Die Fragebögen der KoHi-II-Studie (FB2 und FB3a) wurden vor ihrem Einsatz mittels kognitiver Pretest-Techniken inhaltsvalidiert und befinden sich im Anhang zu dieser Publikation.
Eine zweite Vollerhebung (KoHi-V) unter allen patientennah arbeitenden Mitarbeiter:innen der Klinik Hietzing erfolgte zwischen Juni und August 2022 – ungefähr 3 Jahre nach der ersten Basiserhebung. Pandemiebedingt kam es hier zu einer Verzögerung der Erhebung und Auswertung. Ziel der zweiten Vollerhebung war die Abschätzung des organisationsweiten Effekts des Interventionsprogramms. Zudem sollte der Wissenszuwachs, die Jahres- und Lebensprävalenz des Second-Victim-Phänomens und Kenntnisse über aktuelle Unterstützungsangeboten eruiert werden. Ergebnisse dazu werden in naher Zukunft publiziert.
Anzeige
Vor der Durchführung der ersten Befragung wurde ein Ethikantrag bei der zuständigen Kommission der Stadt Wien eingereicht und genehmigt (EK-19-074). Darüber hinaus wurde im Vorfeld des Projektstarts auch die Zustimmung der Krankenhausleitung und der Personalvertretung eingeholt.
Resultate
Im April und Mai 2019 fand in der Klinik Hietzing die erste Basiserhebung statt. Ungefähr 2800 patientennah arbeitende Mitarbeiter:innen erhielten den standardisierten und validierten „Second Victim in Deutschland“-Fragebogen (SeViD; [12]). Ungefähr die Hälfte aller Teilnehmer:innnen (50,6 %) gab an, mit dem Begriff Second Victim vertraut zu sein, und 43 % der Befragten gaben an, selber zumindest einmal nach einem unerwünschten Patient:innenereignis traumatisiert gewesen zu sein [17]. Diese Ergebnisse sind im Detail an anderer Stelle publiziert worden [17].
In weiterer Folge wurden dann zwischen Mai 2019 und Dezember 2021 insgesamt 122 freiwillige Personen aller Berufsgruppen als Kollegial Helfende ausgebildet. In 10 Kursen á 5 h konnten je 5 bis 18 Teilnehmer:innen geschult werden. An der anschließenden freiwilligen Evaluation nahmen 117 der neu ausgebildeten Kollegial Helfenden teil. Die fachliche Zusammensetzung der Teilnehmer:innen und Motivation zur Ausbildung ist in Tab. 2 dargestellt. Die meisten Teilnehmer:innen (83 %) waren in der direkten Patient:innenversorgung tätig, und ethische/altruistische Motive sowie der Wunsch nach Kompentenzerweiterung waren die häufigsten Beweggründe für die Ausbildung.
Tab. 2
Grundlegende Merkmale und Motivation für die Kollegiale Hilfe
n (%)
N = 117
Einsatzbereich
Direkte Patient:innenversorgung
97 (83)
Indirekte Patient:innenversorgung
7 (6)
Patientenkontakt
9 (8)
Keine Patientenversorgung/-kontakt
4 (3)
Art der Entsendung
Freiwillig gemeldet
87 (74)
Von Leitung entsandt
30 (26)
Beweggründe für die Anmeldung als Kollegial Helfende (Mehrfachnennung möglich)
Weil es um Hilfe für KollegInnen geht (Ethische Beweggründe)
100 (85)
Kompetenzerweiterung für den Umgang mit Menschen in Krisen
93 (79)
Verbesserung des Umgangs mit eigenem Stresserleben
46 (39)
Vernetzung mit anderen Kollegial Helfenden – Lernen durch Erfahrungsaustausch
42 (36)
Wertschätzung von Vorgesetzten, Kolleg:innen und KHR
25 (21)
Besondere Rolle an meiner Dienststelle als Vertrauensperson
21 (18)
Aus- und Fortbildung in der Dienstzeit
15 (13)
Erwartungshaltung einer/s Vorgesetzten
6 (5)
Die Motivation zur Teilnahme an der Schulung zu Kollegial Helfenden war insgesamt hoch bis sehr hoch (Tab. 3). Es scheint, dass die initial bereits hohe Motivation durch die Schulungsintervention noch weiter gesteigert wurde; eine Signifikanzanalyse wurde für das vorliegende deskriptive Methodenpapier nicht durchgeführt, wird aber im Rahmen der Folgepublikationen berücksichtigt. Nach dem 5‑stündigen Kurs berichteten lediglich 2 % über eine Teils/teils-Motivation, während vor der Schulung noch 6 % dieses Motivationslevel angegeben haben.
Tab. 3
Motivation zur Teilnahme am KoHi-Programm vor und nach der Schulung
Motivation zur Teilnahme am Kollegiale-Hilfe(KoHi)-Programm
Vor der Schulung (Fragebogen 2)
n (%), N = 117
Nach der Schulung (Fragebogen 3a)
n (%), N = 117
Sehr hoch
70 (60)
77 (66)
Hoch
40 (34)
38 (32)
Teils/teils
7 (6)
2 (2)
Niedrig
0 (0)
0 (0)
Sehr niedrig
0 (0)
0 (0)
Die Erwartungen vor und die Erfahrungen nach der KoHi-Schulung finden sich in Abb. 1 und 2.
×
×
Vor der Schulungsinitiative fühlten sich ungefähr 50 % der Teilnehmer:innen kompetent genug, psychologische Erste Hilfe zu leisten; dies umfasste vor allem die hochmotivierten Mitarbeiter:innen. Nach der Schulung schienen 94 der 117 Teilnehmer:innen (80,3 %) in der Lage zu sein, Situationen hinsichtlich ihrer Stabilität bewerten zu können. 113 von 117 Personen fühlten sich nach der Schulung kompetent genug, über die Relevanz der Second-Victim-Thematik im Kreis der Kolleg:innen zu informieren und sensibilisieren. Durch die Schulung berichteten 88 % der Teilnehmer:innen (104/117), einen Kompetenzzugewinn im Umgang mit Personen in kritischen Situationen erfahren zu haben.
Aufgrund der Mobilität des Gesundheitspersonals sind nicht mehr alle 122 ausgebildeten Kollegial Helfenden in der Klinik Hietzing tätig. Mitte 2023 sind noch 109 Personen an der Klinik Hietzing beschäftigt und somit verfügbar.
Diskussion
Es gibt Hinweise in der Literatur [18], dass ein Entlastungsgespräch unter Kolleg:innen nach einem potenziell traumatisierenden Ereignis bereits für ca. 60 % der Beteiligten eine ausreichende Unterstützungsmaßnahme sei. Ein niederschwelliges Peer-to-Peer-Gespräch könnte ein adäquates Angebot sein, Mitarbeiter:innen psychisch und emotional zu entlasten. Im Vergleich zu den in Deutschland durchgeführten SeViD-Studien [19, 20] zeigte die Studie der Klinik Hietzing zwar eine etwas niedrigere, in Summe aber immer noch interventionsbedürftige Prävalenz des Second-Victim-Phänomens sowie einen starken Wunsch nach kollegialem Austausch nach einem belastenden Ereignis [17]. Der Bedarf eines systematischen Interventionsprogramms an der Klinik Hietzing scheint gegeben zu sein.
Zweifelsohne führte die COVID-19-Pandemie zu erheblichen Umsetzungsschwierigkeiten und Verzögerungen des Projekts. Diese Effekte gilt es bei der abschließenden Evaluation des Projekts zu berücksichtigen. Allerdings unterstreicht diese langanhaltende Extremsituation der Pandemie die Notwendigkeit des Projekts und könnte potenziell Betroffenen dafür zusätzlich sensibilisieren.
Die Evaluation der Schulungsintervention zur Ausbildung der Kollegial Helfenden scheint auf eine hohe Motivation und Akzeptanz zu schließen, die allerdings nicht ausschließlich der Intervention selbst zugeschrieben werden kann, sondern wohl auch an der Auswahl der Kollegial Helfenden selbst liegen könnte. Die Bereitschaft und Einstellung der Kollegial Helfenden scheinen ein kritischer Erfolgsfaktor zu sein.
Das Pilotprojekt Kollegiale Hilfe konnte aufgrund zahlreicher positiver Rückmeldungen und breiter Akzeptanz im Verlauf ab 2022 in den Regelbetrieb des Krankenhauses integriert werden. Die Kollegial Helfenden erhielten Pocket-Cards mit entsprechenden Notfallnummern und einem Überblick der psychologischen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Auch die Notfallwägen der Klinik Hietzing wurden mit diesen Pocket-Cards ausgerüstet.
In diesem Zusammenhang ist zu unterstreichen, dass das Projekt der Kollegialen Hilfe bereits mit dem Wiener Gesundheitspreis 2021 in der Kategorie „Gesund in Einrichtungen und Organisationen“, dem Austrian Patient Safety Award 2021 – in der Kategorie „Mitarbeitersicherheit“ durch das ANetPAS Austrian Network for Patient Safety und dem 1. Platz im Mitgliederpreis des Österreichischen Netzwerks Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen (ONGKG) ausgezeichnet wurde.
Die Etablierung einer systematischen Kollegialen Hilfe könnte langfristig in der Verhinderung dysfunktionaler Verarbeitungsmechanismen einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung des Second-Victim-Phänomens liefern. Die vorliegende Publikation dient lediglich der Beschreibung des Interventionsprogramms der Kollegialen Hilfe in der Klinik Hietzing. Eine detailliertere Auswertung der Fragebögen hinsichtlich der Schulungsinitiative (FB2, FB3a) und Einsatzmeldung (FB4) sowie Ergebnisse der zweiten Vollerhebung hinsichtlich der Jahres- und Lebensprävalenz des Second-Victim-Phänomens werden im Verlauf an einer anderen Stelle publiziert werden.
Danksagung
Die Autor:innen möchten allen teilnehmenden Mitarbeiter:innen der Klinik Hietzing für ihren Beitrag zu dieser Studie danken.
Funding
Die Durchführung dieser Studie wurde vom Medizinisch-Wissenschaftlichen Fonds der Stadt Wien gefördert.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
C. Gatterer, E. Krommer, M. Ablöscher, V. Klemm, H. Rösner, R. Strametz, W. Huf und B. Ettl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Ethikkommission: Die ethische Prüfung und Genehmigung wurde erteilt (EK-19-074). Einverständniserklärung nach Aufklärung: Von allen an der Studie beteiligten Probanden wurde eine informierte Zustimmung eingeholt.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Kollegiale Hilfe (KoHi) – Beschreibung des Interventionsprogramms zur Reduktion der Auswirkung belastender Arbeitssituationen im Sinne des Second-Victim-Phänomens bei patientennah tätigem Personal in der Klinik Hietzing, Wien, Österreich (KoHi-II-Studie)
verfasst von
Christian Gatterer Elisabeth Krommer Miriam Ablöscher Victoria Klemm Hannah Rösner Reinhard Strametz Wolfgang Huf Dr. Brigitte Ettl
Bei chronischer Verstopfung wirken Kiwis offenbar besser als Flohsamenschalen. Das zeigen die Daten aus einer randomisierten Studie, die der Gastroenterologe Oliver Pech beim Praxis-Update vorstellte.
Im Verlauf von rheumatoider Arthritis entwickeln viele Patienten extraartikuläre Manifestationen. Schwedische Forscher haben sich mit der Inzidenz und den Risikofaktoren befasst.
Sie sei „ethisch geboten“, meint Gesundheitsminister Karl Lauterbach: mehr Transparenz über die Qualität von Klinikbehandlungen. Um sie abzubilden, lässt er gegen den Widerstand vieler Länder einen virtuellen Klinik-Atlas freischalten.
Bei chronischer Herzinsuffizienz macht es einem internationalen Expertenteam zufolge wenig Sinn, die Diagnose „Eisenmangel“ am Serumferritin festzumachen. Das Team schlägt vor, sich lieber an die Transferrinsättigung zu halten.
Update Allgemeinmedizin
Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.