Alopecia areata (kreisrunder Haarausfall)
Die Alopecia areata betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Der kreisrunde Haarausfall, die Alopecia areata, ist eine relativ häufig auftretende, autoimmunologisch bedingte
entzündliche Erkrankung der Kopfhaut und kann in jedem Lebensalter auftreten, ohne Geschlechtsprävalenz. Da es sich nicht um eine infektiöse Entzündung handelt, besteht auch keine Ansteckungsgefahr. Die Inzidenz in der Normalbevölkerung ist mit etwa 1–2 % anzugeben. Etwa ein Drittel der Betroffenen sind
Atopiker [
1].
Initial zeigen sich meist kreisrunde, münzgroße kahle Areale am behaarten Kopf, wobei diese auch isoliert an anderen Körperstellen, wie an den Brauen oder Wimpern, im Bartbereich oder prästernal auftreten können. Sind im Randbereich der kahlen Herde Haare leicht abziehbar, lässt das auf ein Fortschreiten des Haarverlusts schließen. Verläuft die Krankheit progredient, treten immer mehr kahle Stellen auf, die miteinander konfluieren, was schließlich zum totalen Haarverlust am Kopf (Alopecia areata totalis) oder am ganzen Körper (Alopecia areata universalis) führen kann.
Historisch gesehen handelt es sich um ein Symptom, das bereits Hippokrates erwähnte. Aus dem Altgriechischen stammt daher auch die Bezeichnung „Alopecia“, nämlich von Alopex (ἀλώπηξ), dem Fuchs. Abgeleitet wird der Name von den kahlen Körperstellen, die im Rahmen der Fuchsräude auftreten.
Histologisch zeigt sich ein lymphohistiozytäres Entzündungsinfiltrat um den distalen Anteil der Haarfollikel (Bulbus) angeordnet. Die Haarfollikel bleiben dabei intakt und zeigen keine Degeneration. Die Entzündungszellen blockieren die Mitosen in den Follikelepithelien, deshalb verharren die Haarfollikel in der Telogenphase, solange die Entzündung (die klinisch kaum in Erscheinung tritt) vorhanden ist. Daraus ergibt sich der therapeutische Ansatz, nämlich die Entzündung zu beherrschen. Denn sobald diese nicht mehr hemmend auf die Follikelepithelien einwirkt, können wieder Mitosen stattfinden, der Haarfollikel tritt erneut in die Anagenphase, die aktive Wachstumsphase, ein und ein neuer Haarschaft kann gebildet werden. Die ersten neu wachsenden Haare sind meist unpigmentiert, da auch die Pigmentbildung vorübergehend blockiert ist, das gibt sich aber mit der Zeit.
Zusammenhänge mit internistischen Erkrankungen, besonders mit Schilddrüsenaffektionen werden diskutiert, sind aber nicht obligat. Als Ursache für das auslösende lymphohistiozytäre, peribulbäre Infiltrat werden autoimmunologische Vorgänge angenommen, am besten erklärt durch psychoneuroendokrine Mechanismen, wobei durch Hemmung der Mitosen im Bulbusbereich Haarfollikel in ihrer Ruhephase verharren. Begründet wird dies mit der Beobachtung, dass sich in der Anamnese in vielen Fällen psychische Alterationen, Belastungssituationen und durch Stressoren verschiedenster Art ausgelöste Dysphorien darstellen lassen. Die Haarfollikel gehen dabei nicht zugrunde und ein Nachwachsen der Haare ist nach Sanierung der Auslösefaktoren jederzeit möglich.
Spontanremissionen ohne Therapie sind häufig, vor allem bei einzelnen Krankheitsherden, wenn nämlich die zugrunde liegende psychische Alteration bewältigt ist. Bei längerem Bestand ist die Behandlung der Alopecia areata oft langwierig und aufgrund mangelnden Therapieerfolgs frustrierend. Zu den Behandlungsoptionen zählt eine topische Immuntherapie mit Kortikosteroiden. Systemische Immunsuppressiva wie Ciclosporin haben Berichten zufolge in manchen Fällen zum Nachwachsen der Haare geführt. Eine psychosomatische Therapie – einerseits zur Ausschaltung möglicher psychoneuroendokriner Zusammenhänge, andererseits zum Erlernen von Coping-Strategien – könnte in manchen Fällen hilfreich sein.
Alopecia diffusa (diffuser Haarausfall, telogenes Effluvium)
Die Alopecia diffusa betrifft Frauen und Männer gleichermaßen. Für diffusen Haarausfall gibt es
zahlreiche Ursachen. Resorptionsstörungen, Vitaminmangel, Anorexie, Bulimie und drastische Gewichtsabnahme lassen Haarwurzeln in der Telogenphase verharren [
2]. Entzündliche Kopfhauterkrankungen, Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Schilddrüsenfunktionsstörungen), hormonelle Störungen, Eisenmangel, Anämie, aber auch Neoplasien können ebenso zum diffusen Haarausfall führen wie Infektionserkrankungen (beispielsweise Typhus), psychische Alterationen (Stress, Depression), Arzneimittel (Antikoagulanzien, Retinoide, Betablocker, manche Gestagene, Statine) oder Gifte (Thallium, Rattengift).
Grundsätzlich ist in Fällen vordergründig unerklärlichen Haarausfalls eine exakte Exploration durchzuführen, um die kausale Erkrankung zu finden. Die Behandlung der Grunderkrankung ist dann gleichzeitig Behandlung des Haarausfalls, indem die Ursache damit beseitigt bzw. gelindert wird. Wichtig ist jedenfalls darauf hinzuweisen, dass die Haarwurzeln bei dieser Art von Haarausfall nicht zugrunde gehen, sondern dass sich diese eben in einer verlängerten Ruhephase befinden und nach Behebung der Ursache wieder eine Anagenphase beginnen kann.
Pharmakologisch haben sich wenige wirksame Mittel etabliert. Ihre Wirkung ist in klinischen Studien nachgewiesen. Beispiele sind topisch anwendbare Minoxidilzubereitungen in 2 %iger oder 5 %iger Konzentration oder Vitamin-H‑Präparate (Biotin) zum Schlucken. In manchen Fällen hat sich auch bei diffusem Haarausfall eine psychosomatische Intervention bewährt.
Alopecia cicatricia (Haarverlust durch vernarbende Kopfhauterkrankungen )
Die Alopecia cicatricia betrifft Frauen und Männer gleichermaßen, eine Ausnahme ist der
Morbus Kossard. Relativ selten auftretende
vernarbende Prozesse an der Kopfhaut führen zum
irreversiblen Haarverlust, da die Haarfollikel in den betroffenen Arealen zugrunde gehen und keine Haare mehr nachwachsen können [
3]. Mechanische Traumata, Pilzinfektionen, chronisch-entzündliche Hauterkrankungen wie Psoriasis oder Lichen planopilaris können zur Vernarbung der Kopfhaut beitragen. Autoimmunologisch bedingt, aber nicht erklärbar ist auch die sogenannte
Folliculitis decalvans, eine krustige Entzündung der Kopfhaut.
Eine besondere Variante des Lichen planopilaris ist die frontale fibrosierende Alopezie (Morbus Kossard), die fast ausschließlich bei postmenopausalen Frauen zum langsamen, irreversiblen Zurückweichen der vorderen Haaransatzlinie führt.
Durch wochenlange systemische Kortikosteroidtherapie kombiniert mit Antibiose lässt sich der Vernarbungsprozess manchmal stoppen und die Krankheit kommt zum Stillstand. Dann können Haartransplantationen durchaus zu einem einigermaßen zufriedenstellenden kosmetischen Ergebnis führen.
Trichotillomanie
Die Trichotillomanie betrifft beide Geschlechter. Trichotillomanie beschreibt die „Sucht des Haareausreißens“. Es handelt sich um ein durch komplexe Impulsstörung ausgelöstes Verhalten, das vor allem bei kleinen oder pubertierenden
Kindern auftritt. Auslösend sind zumeist
traumatische Erlebnisse wie der Tod einer Bezugsperson, die Trennung der Eltern oder sexueller Missbrauch, die eine innere Anspannung auslösen [
4].
Am häufigsten werden Kopfhaare, Wimpern, Augenbrauen, Bart- und/oder Schamhaare ausgerissen. Manchmal betrifft die Ausdehnung der ausgezupften Areale den gesamten Kopf, meist aber umschriebene Areale im Bereich der dominierenden Hand, das heißt rechts bei Rechtshänder*innen, links bei Linkshänder*innen. Manchmal werden die ausgezupften Haare gegessen, um sie zu verbergen, dann spricht man von Trichotillophagie.
Die Behandlung der Trichotillomanie bzw. -phagie kann zwar im dermatologischen Bereich begonnen werden, in komplexen Fällen ist aber psychosomatische oder psychiatrische Expertise gefragt. Probate Erstmaßnahmen, um das habituelle Zupfen/Rupfen zu unterbinden, sind das nächtliche Anziehen von Söckchen an den Händen oder die „Rotkäppchentherapie“ mit Tragen eines verschnürten Häubchens nachts, um den Zugang zu den Haaren zu unterbinden.
Androgenetische Alopezie (hormonell bedingter Haarausfall)
Sowohl bei Männern als auch bei Frauen können Androgene einerseits zum Haarverlust oder andererseits zu vermehrtem Haarwachstum führen, je nach genetischer Programmierung jedes einzelnen Haarfollikels, die vorgibt, wann im Leben auf welchen (androgenen) Reiz hin ein Haar ausfällt oder wächst. Dabei spielt die individuell unterschiedliche Androgensensibilität der Haarfollikel an bestimmten Körperstellen eine wesentliche Rolle. Um dies besser zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, wie unterschiedlich Androgene bei beiden Geschlechtern auf die Haarfollikel wirken. Wichtig ist festzuhalten, dass die Androgenspiegel dabei meist nicht manifest erhöht sind.
Wirkung von Testosteron auf das Haarwachstum bei Männern
Als wesentliches „Steuerungshormon“ für das Haarwachstum bei Männern fungiert
Dihydrotestosteron, das durch die 5α-Reduktase aus Testosteron metabolisiert wird und für Haarwurzeln das wirksamste Androgen bei Männern darstellt. Dihydrotestosteron ist es, das einen Haarfollikel in bestimmten Regionen der Kopfhaut „verkümmern“ lässt, was zum typischen klinischen Bild des hormonell bedingten Haarausfalls, der androgenetischen Alopezie, führt [
5]. Die Ausprägung der sogenannten „männlichen Glatze“ kann anhand eines 7‑stufigen Scores graduiert werden [
6]. Anders verhalten sich Haarfollikel am männlichen Körper, Dihydrotestosteron regt das Haarwachstum an Brust, Rücken und Beinen an, sodass mit zunehmendem Alter die Körperbehaarung bei Männern zunimmt.
Durch
5α-Reduktase-Hemmer wie Finasterid kann die Umwandlung von Testosteron in Dihydrotestosteron vermindert und so die androgenetische Alopezie erfolgreich behandelt und ihr vorgebeugt werden [
7].
Die
psychosomatischen Auswirkungen von hormonell bedingtem Haarausfall bei Männern wurden im Rahmen einer multinationalen Telefonumfrage erhoben. Unter anderem bejahten > 60 % der > 1500 Befragten eine negative Auswirkung des Haarausfalls auf ihr Selbstbewusstsein, 21 % gaben sogar depressive Zustände wegen übermäßigem Haarverlust bzw. Glatzenbildung an [
8].
Die effektivste Therapie bei androgenetischer Alopezie ist die autologe Haartransplantation aus dem Okzipitalbereich in die Areale des Haarverlusts frontoparietal, weil die okzipitalen Haarfollikel genetisch bedingt weniger androgensensibel sind.
Wirkung von Testosteron auf das Haarwachstum bei Frauen
Beim hormonell bedingten Haarausfall der Frauen ist die Situation komplexer. Während Dihydrotestosteron bei Männern eindeutig die klar nachvollziehbare Hauptrolle in Bezug auf das Verkümmern der Haarfollikel spielt, sind es bei Frauen vor allem die Androgene Dehydroepiandrosteron und Androstendion als Präkursoren des Testosterons, die zum weiblichen Typ der androgenetischen Alopezie beitragen. Auch das klinische Bild ist bei Frauen anders: Es kommt zu einer graduellen Ausdünnung der Haardichte im Parietalbereich. Die vordere Haaransatzlinie bleibt jedoch erhalten. Die Tatsache, dass sich das Östrogen/Androgen-Verhältnis nach der Menopause zugunsten der Androgene verschiebt, hat sicher auch eine Auswirkung auf den postmenopausal vermehrten Haarausfall.
Die Behandlung des hormonell bedingten Haarausfalls der Frau stellt eine
interdisziplinäre Herausforderung dar. Therapeutisch können in manchen Fällen
Antiandrogene den Haarausfall vermindern [
9,
10]. Während bei gebärfähigen Frauen aufgrund der möglichen
Feminisierung männlicher Feten Finasterid in der Behandlung des hormonell bedingten Haarausfalls nicht zur Anwendung kommt, hat sich in mehreren klinischen Studien an Frauen nach der Menopause gezeigt, dass es auch beim weiblichen Typ der androgenetischen Alopezie erfolgreich zum Stopp des weiteren Haarverlusts eingesetzt werden kann [
11,
12].
Aufgrund des hohen Leidensdrucks und des ausgeprägten Behandlungswunschs der Betroffenen werden in der Praxis oft als roborierende Maßnahmen Entspannungsübungen, ausreichend Schlaf, Stressabbau sowie die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln empfohlen. Selen, Zink und anderen Spurenelementen wird besondere Bedeutung zugemessen. Dazu und zu oft verordneten lokalen Anwendungen von Magistralrezepturen mit Östrogenen, Antiandrogenen und 5α-Reduktase-Hemmern gibt es jedoch wenig Literatur, die eindeutig für die Anwendung dieser nicht registrierten Formulierungen spricht.